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Einzelhandel
Neuentwickelte Technologie: Ehemaliger Real-Chef eröffnet ersten kassenlosen Bio-Markt

Patrick Müller-Sarmiento ist Top-Manager bei Roland Berger. Das Start-up Autonomo ist nur sein Nebenprojekt – aber sozusagen die deutsche Antwort auf Amazon Go.

17.08.2022 | von Florian Kolf

Erste Hoody-Filiale © Hoody

Düsseldorf Das Handelsgeschäft lässt den ehemaligen Real-Chef Patrick Müller-Sarmiento nicht los. Nach dem Verkauf der Kette durch die Konzernmutter Metro vor gut zwei Jahren wechselte Müller-Sarmiento zwar zunächst zurück zu seinem einstigen Arbeitgeber Roland Berger. Bei der Unternehmensberatung wurde er sogar Mitglied des globalen Managementteams. Nebenher hat er allerdings ein Start-up gegründet. Die Branche: Handel.

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Autonomo heißt das Unternehmen und hat mit einem kleinen Team eine Technologie entwickelt, mit der Einzelhandelsgeschäfte ohne Personal und Kassen betrieben werden können – sozusagen die deutsche Antwort auf Amazon Go. Nun will Müller-Sarmiento beweisen, dass sich diese Technologie in der Praxis bewährt. Unter dem Namen „Hoody-Markt“ eröffnet er in Hamburg den ersten kassenlosen Biomarkt Deutschlands. Ziel ist es, das Konzept an andere Händler zu verkaufen – und damit europaweit zu expandieren.

Autonomo ist nicht der erste Anbieter für kassenlose Märkte, als in Deutschland entwickeltes System aber eine Besonderheit. Die bestehenden Angebote der großen Händler sind bisher eher Pilotprojekte, mit denen sie testen wollen, was in größerem Maßstab umsetzbar ist.

So hat die Schwarz-Gruppe einen autonomen Shop ohne Personal auf dem Campus der Hochschule Heilbronn aufgestellt, Aldi probiert es in London mit einem kassenlosen Laden, und Rewe testet in einem Supermarkt in Köln die Technologie des israelischen Start-ups Trigo. Beim Konzept Teo der regionalen Supermarktkette Tegut müssen die Kunden die Artikel noch selbst einzeln einscannen.

Im Hoody-Markt dagegen identifizieren sich die Kunden am Eingang über eine Handy-App und können einfach Waren aus den Regalen nehmen. Mithilfe von Kameras und Künstlicher Intelligenz (KI) werden die Einkäufe zugeordnet, die Abrechnung erfolgt automatisch.

Mit Gründerpreis von Harvard ausgezeichnet

Die Technik dafür hat ein Team von Experten in Deutschland unter der Leitung von Technologiechef Pradeep Vallat entwickelt, der bereits in Indien an kassenlosen Supermärkten gearbeitet hat. Im Juni wurde Autonomo für sein Konzept mit dem „Harvard Alumni Entrepreneurs Accelerator“-Preis ausgezeichnet.

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Patrick Müller-Sarmiento © picture alliance/dpa

Der Kunde selbst soll von der Technologie so wenig wie möglich mitbekommen. „Unsere firmeneigene Technologie hält sich im Hintergrund und rückt die lokal bezogenen, nachhaltigen Lebensmittel und Getränke sowie das Einkaufserlebnis in den Mittelpunkt“, erklärt James Sutherland, Mitgründer und Geschäftsführer von Autonomo. Sutherland hat in London Erfahrungen bei verschiedenen Tech-Start-ups aus dem Handelsbereich sammeln können.

Ganz ohne Personal sollen aber auch die Hoody-Märkte nicht auskommen. Jedes Geschäft bekommt einen Community-Manager. Dieser soll nicht nur dafür sorgen, dass die Regale immer gut gefüllt sind, sondern insbesondere die Kunden beraten und Kontakt zu benachbarten Händlern suchen, die dann möglicherweise ihre Waren auch über den Hoody-Markt verkaufen können. „Der Community-Manager soll dem Laden auch ein Gesicht geben, damit er nicht so anonym auf die Kunden wirkt“, erklärt Müller-Sarmiento.

In den kommenden Monaten will Autonomo weitere Märkte in ganz Deutschland eröffnen, nächstes Jahr soll die internationale Expansion beginnen. Nach Angaben des Unternehmens haben mehrere Handelspartner bereits Vereinbarungen unterzeichnet, um die Technologie zu integrieren.

Die Preise schwanken je nach Uhrzeit und Nachfrage

Solche Partnerschaften will Gründer Müller-Sarmiento für die Expansion nutzen. So sind unter den Seed-Investoren, die Autonomo 2,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben, zahlreiche Einzelhändler, die ein Interesse daran haben, die Technologie für ihr eigenes Geschäft zu verwenden. In gut zwei Jahren soll das Start-up gemäß eigener Planung profitabel sein. Die Gründer sehen mittelfristig ein Umsatzpotenzial von mehr als 500 Millionen Euro.

Schon als Real-Chef zeigte sich Müller-Sarmiento offen für neue Ideen. So hat er für die stationären Geschäfte ein Markthallen-Konzept entwickelt, das den Schwerpunkt auf die Produktion und Zubereitung frischer Waren im Geschäft legt. Unter dem Namen „Emmas Enkel“ testete er einen kassenlosen Shop, in dem die Bestellungen mittels Robotertechnologie zusammengestellt wurden.

Auch übernahm er damals den Onlinemarktplatz Hitmeister des Gründers Gerald Schönbucher. Gemeinsam entwickelten sie daraus die Plattform Real.de, die zeitweise sogar einen Lieferdienst für frische Lebensmittel unterhielt. Als Real zerschlagen wurde, zahlte Kaufland allein für die Plattform 100 Millionen Euro.

Um die Hoody-Märkte noch profitabler zu machen, will sich Müller-Sarmiento an eine Idee wagen, vor der Händler in Deutschland bisher zurückschreckten: dynamische Preise. Das bedeutet, dass die Preise einzelner Produkte je nach Tageszeit und Nachfrage wie an einer Tankstelle flexibel schwanken können.

Sorge, dass seine Arbeit als Start-up-Gründer mit dem Job bei Roland Berger kollidieren könnte, hat Müller-Sarmiento nicht – eher im Gegenteil: Wenn er selbst unternehmerisch erfolgreich sei, könne er mit den Unternehmern, die er berate, noch besser auf Augenhöhe reden.

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