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Energiewende
So werden Kläranlagen zu Wasserstoff-Fabriken

Kläranlagen sind Stromfresser. Doch mit Elektrolyse gelingt der grüne Umbau. Sie erzeugt Wasserstoff – und unterstützt auch die Abwasseraufbereitung.

22.09.2023 | von Pascal Mühle

Kläranlage © E+/Getty Images

Köln Knapp 10.000 Kläranlagen in Deutschland reinigen jährlich gut zehn Milliarden Kubikmeter Abwasser. Sie gehören zu den größten kommunalen Energieverbrauchern. Dabei schlummert in den Kläranlagen ein längst bekanntes, aber bisher kaum genutztes Potenzial für den grünen Umbau. Das Zauberwort heißt wie so oft: Wasserstoff. Denn der kann in Kläranlagen gewonnen und auch genutzt werden.

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Wenn Markus Schröder über das Thema spricht, schwankt seine Stimme zwischen Hoffnung und Frust über politische Versäumnisse. Der Ingenieur ist Vizepräsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft (DWA) und beschäftigt sich seit fast 30 Jahren mit der Frage, wie Wasserstoff hierzulande Kläranlagen grüner machen kann. Schon in den 1990er-Jahren galt Wasserstoff als zentraler Baustein einer grünen Energiewende – als Alternative zu Kohle, Öl, Benzin und Kerosin.

Doch Angela Merkel, damals noch Umweltministerin, habe dem nützlichen Gas 1996 auf der Weltwasserstoffkonferenz in Stuttgart einen schweren verbalen Schlag versetzt, erinnert sich Schröder. „Drastisch ausgedrückt, hat sie Wasserstoff zur Utopie erklärt.“ Fördermittel schrumpften sukzessive – die Euphorie der Wasserstofffreunde verpuffte.

Politisches Comeback bei der Energiewende

Nun, viele Jahre später, erlebt Wasserstoff ein Comeback – auch politisch. Die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung stellt die Weichen. „Jetzt ist der Druck entsprechend hoch, auch bei den Kläranlagen“, sagt Schröder.

Es gibt zwei Möglichkeiten, Wasserstoff in Kläranlagen zu erzeugen. Zum einen kann Wasserstoff aus dem Gas gewonnen werden, das sich in den Faultürmen bildet. Dort entsteht ein Gemisch aus Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4), das zu Wasserstoff (H2) aufgespalten werden kann.

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Zum anderen die Elektrolyse, bei der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Hierfür wird viel Strom benötigt. Dieser müsse durch erneuerbare Energie wie Windkraft und Photovoltaik gewonnen werden, damit der Wasserstoff „grün“ ist, sagt Schröder.

Die Möglichkeiten für den Einsatz sind vielfältig. Der Wasserstoff kann in Blockheizkraftwerken (BHKW) oder in stationären Brennstoffzellen eingesetzt werden und damit Wärme und Strom erzeugen. Mit Methan, aber auch Wasserstoff können städtische Busse betankt werden. Wasserstoff und CO2, etwa aus BHKW-Abgasen, können zudem zu Methanol verarbeitet werden.

Der bei der Elektrolyse gewonnene Sauerstoff kann zudem im Reinigungsprozess eingesetzt werden. In den biologischen Reinigungsstufen einer Kläranlage wird Sauerstoff benötigt, dieser wird in der Regel durch das Einblasen von Luft in das Abwasser eingetragen. Je nach Anlage habe dieser Schritt bisher 50 bis 70 Prozent Anteil am Stromverbrauch, sagt Schröder. „Mit reinem Sauerstoff aus der eigenen Elektrolyse wird dieser Schritt sehr viel effizienter.“

Markus Schröder, Vizepräsident Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft

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Die Kostenvorteile von Kläranlagen mit einem Elektrolyseur lägen dadurch bei etwa zehn bis 15 Prozent gegenüber anderen Elektrolyseur-Standorten, sagt Schröder.

Außerdem kann reiner Sauerstoff zur Ozonerzeugung für den Einsatz in der sogenannten vierten Reinigungsstufe eingesetzt werden, erklärt Schröder. In dieser Reinigungsstufe werden vor allem Medikamentenreste und andere Spurenelemente aus dem Wasser gefiltert. Nach einer EU-Richtlinie aus dem vergangenen Oktober wird dieser Schritt für alle Kläranlagen von Städten ab 100.000 Einwohnern ab 2035 zur Pflicht. Gleichzeitig sollen die Kläranlagen nach derselben Richtlinie aber auch bis 2040 CO2-neutral sein, also den gesamten Energiebedarf aus Erneuerbaren gewinnen.

Das zwingt die Klärwerke zu handeln. Doch wie so oft bringt Tempo gewisse Probleme. „Es gibt nicht genügend Hersteller für Elektrolyseure, durch die wachsende Nachfrage steigen die Preise für die Geräte“, sagt Schröder. „Außerdem brauchen die hochtechnischen Verfahren auch geschultes Personal, das an vielen Stellen fehlt.“

Klärungstechnologie in Thüringen

Im beschaulichen Sonneberg-Heubisch in Thüringen wird die Transformation vorangetrieben. Bereits 2015 sei er mit einem Anlagenbauer ins Gespräch gekommen, der ein Forschungsprojekt mit einem Elektrolyseur starten wollte, berichtet Bernd Hubner, Werkleiter der Wasserwerke in Sonneberg. Das Unternehmen heißt heute Kyros Hydrogen Solutions.

Das Projekt hieß LocalHy und lief bis 2020. Auf Hubners Kläranlage wurde ein kleiner Elektrolyseur installiert, der Wasserstoff und Sauerstoff produzierte. Zudem bauten die Sonneberger eine Versuchskläranlage, um einige Anwendungen des Elektrolyseurs zu testen.

„In der Auswertung unserer Versuche war der Sauerstoff aus dem Elektrolyseur noch teurer, als die Klärbecken mit Luftsauerstoff zu versorgen“, sagt Hubner. „Außerdem hat sich herausgestellt, dass für diesen Anwendungsfall die Auslegungsgröße des Elektrolyseurs und die Größe der Kläranlage nicht passen.“

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Mit der EU-Richtlinie zur vierten Reinigungsstufe könnte sich das ändern. Denn für die Ozonisierung benötigen die Kläranlagen reinen Sauerstoff. „In einem neuen Projekt wollen wir nun herausfinden, ob reiner Sauerstoff aus der eigenen Elektrolyse dauerhaft günstiger ist als der Zukauf“, sagt Hubner. Zudem wird mit dem Wasserstoff ein klimafreundlicher Energieträger vor Ort produziert.

Kyros Hydrogen Solutions setzt auf die PEM-Elektrolyse. „Manche kennen das Prinzip der Elektrolyse vielleicht noch aus dem Chemieunterricht“, erklärt Key-Account-Manager Valentin Schulz. „Bei der PEM gibt es einen Wasserkreislauf, in dem sich hochreines Wasser befindet. Es wird eine Spannung angelegt, als Reaktion werden die Wassermoleküle aufgespalten.“

Die „Proton Exchange Membrane“ (PEM) lässt nur die Protonen passieren, die sich auf der Kathodenseite zu Wasserstoff rekombinieren. Der Sauerstoff bleibt auf der Wasserseite (Anode) zurück. Grundsätzlich benötigt die PEM-Elektrolyse möglichst reines Wasser, im Elektrolyseur sehe man daher eine Wasseraufbereitung vor.

Energiewende: Plasmablitz erhöht die Effizienz

Auf ein anderes Verfahren setzt die Berliner Firma Graforce. „Wir nennen es Plasmalyse“, sagt Gründer und Geschäftsführer Jens Hanke. „Wir erzeugen zwischen zwei Elektroden ein starkes elektrisches Feld. Bei der Entladung entsteht ein Plasmablitz, der verschiedene Gase zersetzt.“

Der Clou: Bei der Plasmalyse könne auch Schmutzwasser verwendet werden, sagt Hanke. „In Kläranlagen kann zum Beispiel das ammoniumhaltige Presswasser aus den Faultürmen im Plasmalyzer behandelt werden. In der Plasmalyse zerlegen wir das Ammonium in Wasserstoff und Stickstoff, das Wasser wird gereinigt und kann wieder eingeleitet werden.“

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Aber auch Methan könne durch die Anlage geleitet und zerlegt werden – in Wasserstoff und festen Kohlenstoff. Dieser könnte dauerhaft in Baumaterialien, Böden oder Batterien gebunden werden, erklärt Hanke. „So trägt die Plasmalyse aktiv zur CO₂-Reduktion bei.“

Wichtig für den Umbau der Kläranlagen seien Fördermittel und verschlankte Genehmigungsverfahren, sagt DWA-Experte Schröder. „Überall soll jetzt Wasserstoff produziert werden, aber es gibt zu wenige Hersteller für Elektrolyseure“, sagt Schröder. „Und den wenigen Herstellern sind unbürokratische Partner aus der Industrie natürlich lieber als aufwendige Angebotsverfahren der öffentlichen Hand.“

Natürlich könnten die Kläranlagen das große Problem der nationalen Wasserstoffproduktion nicht lösen. „Aber wenn sie energieautark werden, sind sie ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Nachhaltigkeit.“

Erstpublikation: 20.09.2023, 10:49 Uhr.

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