Energiekonzern Deutschlands größter Gas-Importeur bittet um Staatshilfe – Uniper-Aktie bricht ein
Uniper bekommt zu wenig Gas aus Russland. Der Energiekonzern hat seine Prognose kassiert und spricht mit der Regierung über frisches Geld – Anleger flüchten.
30.06.2022| Update: 30.06.2022 - 14:35 Uhr | von Catiana Krapp, Kathrin Witsch und Klaus Stratmann
Gasspeicher-Anlage © Reuters
Düsseldorf Uniper gerät als erster großer Energieversorger in Deutschland in der Gaskrise in Not und spricht mit der Bundesregierung über staatliche Hilfen. Das Unternehmen prüfe, wie die Liquidität der Gesellschaft weiter gesichert werden könne, teilte Uniper am Mittwochabend in Düsseldorf mit und kassierte wegen des Ergebnisrückgangs im ersten Halbjahr die Prognose für 2022.
Die Anleger reagierten deutlich: Die Aktie des MDax-Konzerns stürzte zwischenzeitlich um fast 23 Prozent ein.
Der Grund für den Ruf nach dem Staat: Russland hat die Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 gedrosselt. Seit dem 16. Juni erhält Uniper nur noch 40 Prozent der vertraglich zugesicherten Gasmengen von Gazprom.
Um seine Kunden weiter mit den versprochenen Mengen beliefern zu können, muss Uniper sich Ersatz teuer am Markt beschaffen, kann diese höheren Preise aber wegen bestehender Verträge nicht an seine Kunden weitergeben. Analyst Ingo Becker von der Bank Kepler Cheuvreux schätzt, dass Uniper in der aktuellen Lage 900 Millionen Euro Verlust pro Monat macht.
Uniper-Aktie: Energiekonzern für Deutschland systemrelevant
Das bringt Uniper in eine existenzielle Schieflage und gefährdet damit die gesamte Energieversorgung. Denn Uniper ist der größte Gashändler Deutschlands und einer der größten Europas. Hunderte Stadtwerke, Energieversorger und Unternehmen sind auf die Lieferungen der ehemaligen Eon-Tochter, die mehrheitlich zum finnischen Fortum-Konzern gehört, angewiesen. Das Unternehmen ist für die Gasversorgung in Deutschland systemrelevant – entsprechend schwerwiegende Folgen hat eine Schieflage des Konzerns.
„Es geht darum, das gesamte Energieversorgungssystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren“, sagte Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU), dem Handelsblatt. Im VKU sind die Stadtwerke zusammengeschlossen, die größte Kundengruppe von Uniper.
Die Dringlichkeit ist auch der Bundesregierung bewusst. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versicherte am Donnerstag, dass die Bundesregierung bei Firmen, die aufgrund von externen Schocks in Schieflage gerieten, bereit sei, „das Notwendige zu tun“. Dieses Vorgehen habe sich in der Coronapandemie bewährt. Was das konkret bedeute, sei „im Einzelfall zu prüfen“.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte bereits in der vergangenen Woche verdeutlicht, dass eine Lehman-Situation in der Energiewirtschaft unbedingt verhindert werden müsse. Die Pleite der US-Bank Lehman Brothers hatte 2008 zu einem Dominoeffekt geführt und die Weltfinanzkrise ausgelöst.
Schon vor Monaten hatten sich neben Uniper auch der ostdeutsche Braunkohlekonzern Leag, die Essener Steag und die EnBw-Tochter VNG milliardenschwere Kreditoptionen bei der staatlichen KfW-Bank gesichert, um im Falle möglicher Engpässe im Zuge des russischen Kriegs gegen die Ukraine reagieren zu können. Würden die Energiekonzerne zahlungsunfähig, könnten sie ihre Kunden nicht mehr mit Gas beliefern. In der Folge würde die Energieversorgung zusammenbrechen.
Anders als Uniper geben die restlichen Energieunternehmen allerdings erst mal Entwarnung: „Steag führt derzeit keine Gespräche mit der Bundesregierung über Staatshilfen“, sagte ein Sprecher auf Anfrage des Handelsblatts. Trotzdem stelle die aktuelle Lage auf den Energiemärkten eine enorme Herausforderung für die Branche dar.
Zwei mögliche Lösungen für Uniper
Um das Worst-Case-Szenario für Uniper zu verhindern, gibt es nun offenbar zwei Möglichkeiten.
Mit der zweiten Alarmstufe des Notfallplans hat die Bundesregierung den sogenannten Preisanpassungsmechanismus eingeführt. Der Paragraf 24 des Energiesicherungsgesetzes würde es den Gasversorgern ermöglichen, die stark steigenden Marktpreise direkt an die Verbraucher weiterzureichen, auch wenn diese noch laufende Verträge haben.
Bislang ist der Paragraf allerdings noch nicht in Kraft gesetzt. Auch weil es scharfe Kritik aus der Energiewirtschaft hagelte. Die schlichte Weiterreichung der Kosten einiger Versorger könnte große Gasverbraucher schnell wirtschaftlich überfordern. Das will offenbar niemand.
Gas aus Russland: Clearingstelle könnte Kosten für Ersatz bündeln
Deswegen prüft das Bundeswirtschaftsministerium nun eine Anpassung des Paragrafen. Diskutiert wird, dass jeder, der durch die Ersatzbeschaffung für russisches Gas finanziellen Mehraufwand hätte, die entstandenen Kosten zwar weitergeben könnte, aber nicht gezielt an die eigenen Kunden. Stattdessen würden die Kosten über eine Clearingstelle gebündelt und auf alle Kunden, privat oder gewerblich, verteilt.
Diese zentrale Aufgabe würde in dem Fall die Trading Hub Europe (THE) übernehmen. THE spielt schon heute eine Schlüsselrolle im deutschen Gasmarkt. Das Unternehmen muss dafür sorgen, dass Erdgasangebot und Erdgasnachfrage in Deutschland kontinuierlich ausbalanciert werden.
Das Unternehmen würde die Mehrkosten der Gasimporteure prüfen und die Differenz zu den Preisen feststellen, zu denen die Importeure das Gas ursprünglich liefern sollten. Die Differenz würde über erhöhte Netzentgelte, die von allen Gaskunden zu tragen wären, ausgeglichen.
So ein Umlagemodell ist im Energiesektor nicht neu: Der Ausbau der erneuerbaren Energien wurde über zwei Jahrzehnte ähnlich finanziert.
Wann und ob das Energiesicherungsgesetz aber nun zur Unterstützung der Gasversorge entsprechend angepasst wird, ist noch unklar.
Auch wie teuer dieser Lösungsweg für Verbraucher konkret wäre, ist noch völlig unklar – teurer aber würde das Gas.
Option der Teilverstaatlichung von Uniper
Uniper selbst hat einen anderen Vorschlag in die Diskussion gebracht. Weil die Situation drängt, hat das Unternehmensmanagement sogar eine „Beteiligung in Form von Eigenkapital“ bei der Bundesregierung zur Option gestellt. In anderen Worten: Der Konzern würde sich einer Teilverstaatlichung nicht versperren.
Dass der Bund Unternehmen vor der Pleite bewahrt, indem er sich beteiligt, kommt immer mal wieder vor. In der Coronakrise hatte sich der staatliche Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit etwa 306 Millionen Euro eine vorübergehende Aktienbeteiligung an der Lufthansa aufgebaut. Und im Mai half die staatliche Förderbank KfW der deutschen Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom, die mittlerweile von der Bundesnetzagentur kontrolliert wird, mit einem Kredit von bis zu zehn Milliarden Euro aus.
Ob eine Beteiligung im Fall von Uniper für den Bund eine Option ist, wollte das Wirtschaftsministerium am Donnerstag jedoch nicht kommentieren. Aus Koalitionskreisen ist allerdings zu vernehmen, dass dies nicht die bevorzugte Variante ist, um das Unternehmen zu retten.
Der Chef des Betriebsrats und zugleich stellvertretende Chef des Aufsichtsrats von Uniper, Harald Seegatz, sagte dem Handelsblatt indes: „Ich glaube, dass der Staat bei Uniper einsteigen wird, weil wir als systemrelevant einzustufen sind und eine langfristige Lösung brauchen.“
Rettung von Uniper durch Fortum unwahrscheinlich
Dass der Mehrheitseigner von Uniper, das finnische staatliche Energieunternehmen Fortum, sich an einer Rettung über Eigenkapital beteiligt, scheint unwahrscheinlich. Fortum erklärte, die Rettung müsse „eine branchenweite Anstrengung in Deutschland“ sein.
Möglich wären von deutscher Seite indes auch weitere finanzielle Hilfen über die KfW-Bank. Schon vor Monaten hatte sich Uniper die Option auf Milliardenhilfen bei der Staatsbank gesichert.
Neben den hohen Einkaufspreisen für Erdgas muss Uniper gleichzeitig für den Verkauf hohe Sicherheitsleistungen hinterlegen, die sogenannten Margining-Zahlungen. Das Unternehmen zahlt also vor dem vereinbarten Liefertermin eine Art Kaution, die sicherstellen soll, dass Uniper auch liefert. Die Zahlung entspricht der Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten Preis und den aktuellen Spotmarktpreisen.
Sind also die Spotmarktpreise sehr hoch – wie aktuell der Fall –, steigen auch die Sicherheitszahlungen. Uniper bekommt diese zwar nach einer Weile zurück. Doch um sie vorzuhalten, braucht der Konzern sehr viel Liquidität.
Uniper: Neue Prognose erst bei offizieller Gasmangellage
Angesichts der kassierten Ergebnisprognose vom Mittwochabend erklärte Uniper-Vorstandschef Klaus-Dieter Maubach: „Wir hatten bereits Ende letzten Jahres durch die enorm gestiegenen Gaspreise einen signifikant gestiegenen Liquiditätsbedarf. Um diesem zu begegnen, hatten wir bereits unsere Kreditlinien erweitert und unter anderem eine Fazilität der staatlichen KfW in Höhe von zwei Milliarden Euro erhalten, die wir bis heute nicht in Anspruch genommen haben.“
Die KfW-Bank hatte Uniper die Option eingeräumt, den Zwei-Milliarden-Euro-Kredit abzurufen, falls das Unternehmen die hohen Sicherheitszahlungen allein nicht mehr stemmen kann. Bislang kam Uniper noch allein klar – das könnte sich jetzt ändern.
Die Geschäftsentwicklung habe sich durch den Krieg in der Ukraine und die in der Folge stark reduzierten Gaslieferungen aus Russland „spürbar verschlechtert“, führte Maubach weiter aus.
Finanzchefin Tiina Tuomela erklärte, Uniper müsse Stand heute davon ausgehen, dass das bereinigte operative Ergebnis (Ebit) und der bereinigte Jahresüberschuss für das erste Halbjahr 2022 deutlich unter Vorjahr liegen werden. „Dies ist eindeutig eine Folge der Gaslieferbeschränkungen durch Gazprom, deren Ausmaß und Dauer aktuell nicht abzusehen sind.“ Daher nehme Uniper die Ergebnisprognose für das Gesamtjahr zurück und gebe bis auf Weiteres keinen neuen Ausblick.
Für Uniper sind die hohen Kosten im Gashandel auch deshalb ein großes Problem, weil das Unternehmen wie kein anderes in Deutschland auf dieses Geschäft angewiesen ist. Der „Globale Handel“ ist mit Abstand das größte Geschäftssegment, steuerte im ersten Quartal dieses Jahres und im gesamten Vorjahr jeweils etwa 85 Prozent des Gesamtumsatzes bei.
Deutlich weniger ins Gewicht fielen die Umsätze aus den Kraftwerken – die sogenannten Bereiche „Europäische Erzeugung“ und „Russische Stromerzeugung“. Letzterer ist für Uniper seit Kriegsbeginn ohnehin nahezu wertlos geworden.
Uniper-Aktie: Energiekonzern mit drei Milliarden Euro Verlust im ersten Quartal
Besonders bitter ist für Uniper zudem, dass das Unternehmen bereits im ersten Quartal dieses Jahres einen Nettoverlust von rund drei Milliarden Euro eingefahren hat. Uniper hatte weniger Gas aus seinen Speichern verkauft als zu dieser Jahreszeit üblich. Grund war nicht die Versorgungssicherheit in Deutschland: Das Unternehmen hatte Einnahmen aus dem Gasgeschäft in die Zukunft verschoben – in der Annahme lukrativerer Geschäfte.
Uniper verdient normalerweise viel Geld, indem das Unternehmen Gas etwa im Sommer einkauft, wenn es günstig ist, und es im Winter teurer wieder verkauft. Im März waren allerdings wegen des warmen Wetters die Preise für Gaslieferungen niedriger als die Preise am Terminmarkt für das zweite und dritte Quartal.
Um von den hohen künftigen Preisen profitieren zu können, wollte Uniper also größere Mengen Gas im zweiten und dritten Quartal verkaufen. Dafür hatte das Unternehmen sogar noch kurzfristig Gas zugekauft.
Mit der Annahme hat sich Uniper offenbar verkalkuliert: Jetzt fehlt dem Konzern ein Großteil der erwarteten Liefermengen aus Russland.
Mitarbeit: Moritz Koch