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Elektronikbranche
Frust statt Show: Coronavirus stürzt Smartphone-Markt in die Krise

Nach einem beispiellosen Boom ist die Begeisterung für Smartphones erlahmt. Nun zerreißt das Coronavirus auch noch die Lieferketten.

04.03.2020 | von Christof Kerkmann und Stephan Scheuer

U-Bahn in Hongkong © AP

Düsseldorf Die Plakate sind abgehängt, die Stände demontiert: In Barcelona erinnert nicht mehr viel daran, dass Ende Februar auf dem Messegelände der Mobile World Congress (MWC) stattfinden sollte. Was nach der Absage bleibt, ist der Frust: Die Smartphonehersteller wollten das wichtigste Treffen der Mobilfunkbranche nutzen, um neue Begeisterung für ihre Geräte zu entfachen. Nun ist Krisenmanagement statt Show angesagt.

Das Coronavirus beeinträchtigt die globale Elektronikbranche massiv, nicht nur wegen der Absagen von Messen und Pressekonferenzen. Das zeigt der Smartphone-Markt exemplarisch: Zum einen ist China, das Zentrum der Epidemie, ein wichtiger Markt – Apple beispielsweise erwirtschaftet dort 20 Prozent des Umsatzes.

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Zum anderen ist das Land die Fabrik der Welt, die Fernseher, Laptops und Mobiltelefone fertigt. Die Folgen lassen sich bislang höchstens erahnen.

Das Marktforschungsunternehmen Strategy Analytics hat die Prognose für den Smartphone-Markt jüngst „angesichts der eskalierenden Situation in mehr Ländern und Regionen“ weiter gesenkt. Die Zahl der Auslieferungen werde global um zehn Prozent niedriger ausfallen als vor dem Ausbruch des Virus erwartet. Eine – moderate – Erholung könne frühestens im zweiten Halbjahr eintreten. Noch größere Rückgänge seien zu befürchten, wenn die Konjunktur massiv einbreche.

Für die meisten Smartphonehersteller ist die Lage derzeit schwierig. In den vergangenen Jahren ist die Begeisterung für neue Modelle mit besseren Bildschirmen und mehr Megapixeln immer stärker geschwunden, der Markt schrumpfte 2019.

Die Branche hofft, dass neue Technologien für neuen Schwung sorgen, der neue Mobilfunkstandard 5G und flexible Displays etwa. Die Absage des MWC, von dem dieses Signal ausgehen sollte, ist daher ein schlechtes Omen.

Coronavirus könnte Zeitplan für neues iPhone gefährden

Unternehmen fehlen die Arbeitskräfte

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Der Ausbruch des Coronavirus schädigt die globale Elektronikindustrie gleich doppelt. Erstens ist China einer der wichtigsten Absatzmärkte der Welt. Mit 1,4 Milliarden Menschen ist die Volksrepublik das bevölkerungsreichste Land der Erde, die Kaufkraft hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Nirgendwo werden mehr Smartphones verkauft.

Seit Wochen stockt der Konsum jedoch. Viele Menschen sind unter Quarantäne gestellt. Andere Bürger trauen sich aus Angst vor einer Infektion kaum aus ihren Wohnungen. Und wenn sie sich in die Städte trauen, meiden sie Menschenmassen. Der Smartphonekauf wird verschoben oder ganz gestrichen.

„Der interne Markt ist zusammengebrochen“, sagt Annette Zimmermann, Analystin beim Marktforscher Gartner. Das werde die Hersteller der Geräte empfindlich treffen.

Zweitens ist China das globale Zentrum für die Fertigung von Elektronikprodukten. Ob PCs oder Smartphones, Bildschirme oder Grafikkarten, Speicherchips oder Prozessoren, LEDs oder Lithium-Ionen-Batterien: Die Unternehmen betreiben im gesamten Land riesige Fabriken, um den globalen Bedarf zu decken. Drumherum haben sich zudem zahllose Zulieferer angesiedelt. Millionen von Arbeitern halten den Betrieb am Laufen.

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Die rigorosen Quarantänevorschriften und Reisebeschränkungen, die China zur Bekämpfung des Virus erlassen hat, stellen die Unternehmen vor große Probleme: Ihnen fehlen die Arbeitskräfte. So musste der weltgrößte Auftragsfertiger Foxconn, der für Apple das iPhone produziert, viele Fabriken zwischenzeitlich schließen. Erst langsam nehmen sie die Arbeit wieder auf.

„Wir hören, dass die Kapazitäten Mitte März wieder bei 50 Prozent und Ende März bei bis zu 80 Prozent liegen sollen“, sagt Gartner-Analystin Zimmermann. Ob diese Zahlen erreicht werden können, hängt jedoch davon ab, wie weit sich das Virus verbreitet. Zuletzt war zwar die Zahl der Neuinfektionen in China zurückgegangen. Doch das könnte sich natürlich ändern, wenn Mitarbeiter in die Büros und Fabriken zurückkehren.

Nicht alle Industriezweige sind gleichermaßen betroffen. Aufgrund der hohen Automatisierung laufe die Fertigung von Speicherchips voraussichtlich unproblematisch, berichtet der Marktforscher Trend Force in einer Analyse.

Anders ist die Lage bei der 5G-Infrastruktur: Zulieferer von Schlüsselkomponenten für Basisstationen sind in der Region Hubei angesiedelt, die vom Virus besonders betroffen ist. Der Ausbau des neuen Mobilfunkstandards könnte daher langsamer vonstattengehen als geplant – und mittelbar auch den Smartphoneherstellern schaden.

Ausweichen nach Indien

Zu den Unternehmen, die besonders betroffen sind, zählt Xiaomi: Wuhan ist der zweitgrößte Standort nach Peking. „Wir unternehmen alles, um die Gesundheit unserer Mitarbeiter zu schützen“, kündigte Firmengründer Lei Jun an. Über Wochen arbeiteten viele Angestellte im Homeoffice. Doch beim weltgrößten Hersteller von vernetzten Haushaltsgeräten und viertgrößten Smartphoneanbieter lässt sich nicht alles von zu Hause erledigen.

Xiaomi-Finanzchef Shou Zi Chew reiste kürzlich nach Düsseldorf, um den Aufbau der deutschen Niederlassung voranzutreiben. Im Gespräch mit dem Handelsblatt betonte er: „Natürlich wird Corona unsere Quartalszahlen belasten.“

Er erwartet jedoch, dass es schon bald eine Erholung geben könnte. „Wir haben viele Komponenten auf Lager. Engpässe dürfte es an dieser Stelle nicht geben.“ Allerdings sei es wichtig, dass die Fabriken schnellstmöglich wieder ihre Arbeit aufnehmen, damit die Fertigung von Geräten möglichst rasch wieder anlaufen könne.

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Für Xiaomi könnte der Ausbruch des Coronavirus eine Entwicklung beschleunigen: Der Konzern, der sich lange auf den chinesischen Heimatmarkt konzentriert hat, treibt die Internationalisierung voran. In Indien ist er bereits größter Smartphonehersteller. Das Besondere: Er fertigt die Geräte lokal und hat dafür beträchtliche Teile der Herstellung auf den Subkontinent verlagert.

Das Coronavirus könnte nach dem Handelskonflikt zwischen den USA und China ein weiteres Argument für die Verlagerung der Produktion in andere Länder liefern. Die Epidemie habe die Anfälligkeit globaler Lieferketten offenbart, sagt Gartner-Analystin Zimmermann. Vielen Unternehmen sei klar geworden, dass es eine Gefahr sei, die Herstellung ihrer Produkte zu stark zu konzentrieren.

Dieser Prozess ist bereits im Gange. Xiaomi baut Indien als wichtigen Standort auf, der Auftragsfertiger Foxconn setzt dort für Apple schon iPhone-Modelle zusammen. Samsung wiederum hat die Produktion weitgehend aus China abgezogen und an Standorte wie Vietnam und Indien verlagert, wo die Lohnkosten deutlich niedriger sind.

Gegenseitige Abhängigkeit ist groß

Radikale Änderungen zeichnen sich indes so schnell nicht ab. „Wir reden darüber, dass wir an einigen Knöpfen drehen, aber keine grundlegenden Veränderungen vornehmen“, betonte Apple-Chef Tim Cook vor einigen Tagen. Die Erholung vom Coronavirus werde zwar einige Zeit benötigen, aber es handle sich nur um eine zeitweilige Störung.

Dass der Manager die Folgen der Epidemie kleinredet, kommt nicht von ungefähr. Der iPhone-Hersteller hat seine Produktion wie kaum ein anderes Unternehmen nach China verlagert, Hunderttausende Arbeiter montieren bei Foxconn und anderen Auftragsfertigern die iPhone-, iPad- oder Airpods-Modelle. Um die Logistik zu steuern, fliegen täglich Dutzende Manager von den USA nach China. Die gegenseitige Abhängigkeit ist groß.

Alternativen in dieser Größenordnung gibt es nicht. „Es ist unmöglich, die gesamte Fertigung wegzuverlegen“, erklärt das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Counterpoint Research – zu groß sind die Kapazitäten, die China bietet, zu wichtig ist das Know-how, das die Wirtschaft mit der Zeit aufgebaut hat. Selbst wenn Elektronikhersteller ihre Geräte anderswo fertigen lassen, stammt ein Großteil der Komponenten aus dem Reich der Mitte.

Zunächst würden vermutlich bestehende Standorte ausgebaut, erst später seien anders gelagerte Wertschöpfungsketten möglich, sagt Gartner-Analystin Zimmermann. „Das ist ein langfristiger Prozess.“ Das Coronavirus ist dabei nur ein Faktor.

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