Verteidigung Ghostplay – Eine Künstliche Intelligenz soll die Bundeswehr besser machen
Das Start-up 21 Strategies hat eine KI für das Militär entwickelt, die Angriffs- und Verteidigungstaktiken selbst erlernt. Jetzt steigt der Rüstungskonzern Hensoldt ein.
14.02.2023 | von Larissa Holzki
Flakpanzer Gepard © IMAGO/Sven Eckelkamp
Düsseldorf Mit der Künstlichen Intelligenz von 21 Strategies lässt sich Kriegsführung am Computer trainieren. Zusammen mit Partnern aus Forschung und Industrie hat das Start-up aus Oberbayern „Ghostplay“ entwickelt. Dabei eignen sich simulierte Waffensysteme selbst Taktiken an, um sich zu verteidigen oder anzugreifen. Jetzt steigt der Rüstungskonzern und Entwicklungspartner Hensoldt bei der Firma ein.
Ghostplay habe das Potenzial, eine „Fähigkeitslücke“ in der Bundeswehr zu schließen, sagt Gary Schaal. Der Politikwissenschaftler leitet das Forschungsprojekt an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg (HSU). Er weiß: Mit den verfügbaren Mitteln der elektronischen Kampfführung und Raketenabwehrsysteme ist das deutsche Militär bisher nicht gut aufgestellt, um Drohnenangriffe zu verteidigen.
„Ziel war es herauszufinden, wie man Drohnenschwärme unter Nutzung von Künstlicher Intelligenz möglichst gut abwehren kann“, sagt Schaal. Mit Ghostplay gebe es nun eine Art digitalen Zwilling, um diese und andere Fähigkeiten zu erproben.
In der Entwicklungsphase seit 2021 hat das Team um den 21-Strategies-Mitgründer und Technologiechef Christian Brandlhuber Drohnenschwärme und Flugabwehrkanonenpanzer (kurz: Flakpanzer) vom Typ Gepard simuliert. Während die Drohnen in der künstlichen Umgebung immer wieder Angriffe flogen, wurden die Flakpanzer so programmiert, dass sie alles daransetzen sollten, diese Angriffe zu überleben.
Auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI) hätten beide Seiten dabei immer bessere Strategien entwickelt, den Gegner zu überwinden, sagt Brandlhuber: „Die Neuheit ist, dass die Systeme selbst Taktiken erlernen.“ Dazu würden sie weit vorauskalkulieren, welche Reaktionen ihre eigenen Bewegungen nach sich ziehen könnten.
Dabei handelt es sich bei Ghostplay um ein „Multi-Agentensystem“. Das heißt: „Sowohl der Drohnenschwarm als auch die Gepard-Panzer haben innerhalb von Ghostplay Gruppenkoordination gelernt“, sagt Brandlhuber.
Ghostplay: Künstliche Intelligenz zur Abwehr von Drohnen für die Bundeswehr
Ursprünglich hatte 21 Strategies seine taktische KI für Finanzmarktentscheidungen entwickelt. Mit dem großen Interesse an der militärischen Anwendung dürfte sich der Fokus des 2019 gegründeten Start-ups aber verschieben.
Das Potenzial scheint enorm: In der Realität seien fünf bis sechs dieser Panzer nach seiner Einschätzung in der Lage, sich gegen 50 bis 60 Drohnen verteidigen zu können, sagt Brandlhuber. Innerhalb von Ghostplay seien Taktiken entwickelt worden, um 300 bis 400 Drohnen abzuwehren.
Screenshot von „Ghostplay“ © 21 Strategies
Künstliche Intelligenz wird beim Militär bereits seit vielen Jahren eingesetzt, etwa um Bilddaten zu analysieren und Muster zu erkennen. Dabei handelt es sich nach der Definition der Innovationsbehörde des US-Verteidigungsministeriums „Darpa“ um KI der sogenannten zweiten Welle.
Neue Projekte heben sich davon deutlich ab: In der dritten Welle der KI lernen die Systeme, die Konsequenzen ihrer eigenen Entscheidungen mitzudenken. Das gilt als Grundvoraussetzung für technische Autonomie.
Vollautomatische Anwendung von KI noch nicht denkbar
So könnte das System prinzipiell sogar dafür eingesetzt werden, in einer für die Besatzung sehr gefährlichen Situation vollautomatisch zu reagieren, um das Leben der Soldaten zu schützen. Laut Gary Schaal ist ein solches Anwendungsszenario hierzulande nach dem geltenden Rechtsrahmen aber nicht denkbar.
Laut Vanessa Cann, Geschäftsführerin des KI Bundesverbands, hat Künstliche Intelligenz als Querschnittstechnologie großes Potenzial, auch in der Verteidigung Anwendung zu finden. „Viele Start-ups haben in der Vergangenheit auch aus Marketingbedenken oder wegen eigener ethischer Bedenken lieber die Finger von der Verteidigungsindustrie gelassen“, sagt sie.
Durch den Krieg in der Ukraine und die Erkenntnis, dass andere Staaten an KI für das Militär arbeiten und Deutschland sich dagegen verteidigen müsse, könne sich das jedoch ändern. Derzeit sind hierzulande nur Systeme zulässig, bei denen die Entscheidungshoheit beim Menschen verbleibt. HSU-Professor Schaal hofft, dass Ghostplay die eingefahrene Ethikdebatte weiterbringen und für Differenzierung sorgen kann.
Einerseits handle es sich dabei um eines der ersten Systeme, die nach einem 2021 in Kraft getretenen Standard für wertebasierte Technik aufgesetzt worden seien. 21-Strategies-Chefin Yvonne Hofstetter, zugleich Honorarprofessorin am Zentrum für Ethik und Verantwortung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, hat diesen mitentwickelt.
Zweitens zeige das Forschungsprojekt, dass KI-basierte Assistenzsysteme Menschen in kritischen Situationen mehr Zeit verschaffen können, um überhaupt Entscheidungen zu treffen, sagt Schaal.
Ghostplay: Hensoldt tritt als Generalunternehmer auf
Ghostplay ist aus dem Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr hervorgegangen und damit auch Ergebnis des Konjunkturprogramms, das die Bundesregierung zur Überwindung der Coronakrise aufgesetzt hat. Die beiden Bundeswehr-Universitäten wurden dabei mit je 250 Millionen Euro ausgestattet, um neue Technologien in die Wirtschaft zu transferieren.
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Der Sensorspezialist Hensoldt tritt bei dem Forschungsprojekt als Generalunternehmer auf. Der Rüstungskonzern hat bereits Erfahrung mit der Anwendung von KI, wenn es darum geht, Aufklärungsdaten aus vernetzten Sensoren und Effektoren auszuwerten. „Nun wollen wir in die dritte Welle KI einsteigen, um die Vernetzung von Sensorik und Effektorik voranzubringen und zu optimieren“, sagt ein Sprecher.
Potenzial sehe das Unternehmen etwa in der Steuerung seiner Radare und dem kombinierten Einsatz von Aktiv- und schwer zu ortenden Passivradaren: „Durch KI können wir den Prozess der Zieldefinition noch weiter beschleunigen und damit unsere eigenen Systeme gegnerischer Ortung und Bekämpfung entziehen.“
Jetzt soll das Unternehmen mit Hauptsitz in Taufkirchen zehn Prozent an 21 Strategies übernehmen. Finanzielle Details nannten beide Seiten nicht.
Neben Hensoldt, 21 Strategies und der HSU ist das Beratungsunternehmen Borchert an Ghostplay beteiligt. Das Projekt soll bis Ende 2024 laufen.
Erstpublikation: 24.01.23, 09:17 Uhr.