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Point Nine
Diese Investoren prägen eine neue deutsche Software-Industrie

Christoph Janz und Pawel Chudzinski kündigen einen neuen Frühfinanzierungs-Fonds an. Oft erwiesen sie sich als Propheten – wie bei Delivery Hero.

21.09.2020 | von Larissa Holzki

Point-Nine-Gründer Christoph Janz (links) und Pawel Chudzinski © Point Nine

Berlin Über die Zweifel mancher Anleger an Delivery Hero müssen Pawel Chudzinski und Christoph Janz heute lachen. Der Essenslieferdienst ist gerade in die Top 30 der größten deutschen Aktienkonzerne aufgestiegen, 20 Milliarden Euro wert – und vielen nicht profitabel genug. „Das ist eher ein Problem von Deutschland als berechtigte Kritik“, sagt Chudzinski. Die alte Industrie werde besser verstanden. „Aber die Börse bewertet die Zukunft“, sagt Janz.

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Als die beiden Partner des Frühphasen-Investors Point Nine erstmals in den Lieferdienst investierten, war er kaum mehr als eine Idee. So ist es bei den Berliner Wagniskapitalgebern fast immer: Sie sind auf die sogenannte Seed-Finanzierung im Softwarebereich spezialisiert – Kapital, mit dem Produkte erst entwickelt werden. Sie wetten auf Gründer, die ihre Firmen noch aufbauen, und auf Märkte, die erst noch entstehen müssen.

Mit ihren mehr als 140 Investments haben sie dabei über mehr als ein Jahrzehnt hinweg ein neues Geschäftsmodell mitgeformt und ermöglicht – digitale Marktplätze und Software als Dienstleistung, insbesondere für Geschäftskunden. Heute kommt kaum ein Unternehmen mehr daran vorbei.

Zu den ertragreichsten Investments von Janz und Chudzinski gehören neben Delivery Hero die Juristen-Software Clio und der App-Monetarisierungsdienst Fyber. Im Gespräch mit dem Handelsblatt kündigen sie nun ihren fünften Fonds über knapp 100 Millionen Euro an, die sie nach bewährtem Muster einsetzen wollen: „Es geht immer um die Frage, wie Software Arbeit vereinfachen, beschleunigen und automatisieren kann“, sagt Pawel Chudzinski. Seine Prognose für den Handel: „Jede Industrie wird einen eigenen Business-zu-Business-Marktplatz bekommen.“

„SaaS“ ist heute ein feststehender Begriff. Bei „Software as a Service" geht es um digitale Dienstleistungen im Abo – von Bürosoftware über Datenschutz bis zur nutzungsbasierten Abrechnung von gemieteten Maschinen. „Mittlerweile gibt es um die 100 börsennotierte SaaS-Unternehmen“, sagt Janz. Marktforscher Gartner prognostiziert für 2020 einen weltweiten Umsatz mit SaaS-Lösungen von knapp 105 Milliarden US-Dollar.

Warum sind B2B-Geschäftsmodelle weniger riskant?

Zum Vergleich: 2010 waren es noch weniger als elf Milliarden Dollar. Als die Point-Nine-Partner ihre ersten Finanzierungen tätigten und den Fokus auf Businesslösungen und Marktplätze legten, waren sie Außenseiter, erinnert sich Janz: „Wir galten als Exoten, die meisten haben sich mit Endkonsumenten oder E-Commerce beschäftigt.“

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In der damals noch kleinen Berliner Start-up-Szene war es die große Zeit der Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer und Rocket Internet. In dem 2007 gegründeten Inkubator sollten schnell wachsende Firmen gebaut werden, typischerweise nach US-Vorbild. Das bekannteste Beispiel ist Zalando, das den Online-Versandhändler Zappos kopierte.

„Rocket Internet hat Zugang zu Wissen und Kapital verschafft, als es in Deutschland kaum Start-up-Erfahrung gab“, erinnert sich Christoph Janz. Die Ära ist offenbar endgültig vorbei. Im August kündigten die Samwers den Börsenrückzug an. „Was damals zentralisiert von einem Company-Builder angeboten wurde, bietet der Markt heute viel besser an“, sagt Janz. Der Sektor hat sich professionalisiert. Es gibt mehr Gründer, mehr Investoren, mehr Wagniskapital und auch größere Deals.

Und die deutschen Gründer sind heute auch anders gepolt: Laut dem „Berlin Startup Monitor 2020" vom Start-up-Bundesverband richten sich inzwischen 52 Prozent der Hauptstadt-Start-ups an Geschäftskunden – Tendenz steigend. Bundesweit sind es 46 Prozent, mehr als zwei Drittel der Umsätze werden nunmehr mit Firmenkunden erzielt.

Aus der Sicht von Pawel Chudzinski ist das rational: „Konsumentenverhalten ist unvorhersehbar.“ Manchmal finde man heraus, dass Menschen eine App mit verschwindenden Fotos cool finden. Aber das sei nicht logisch von anderen Lösungen abzuleiten. In der Geschäftswelt lassen sich funktionierende Modelle hingegen schon eher von einem Sektor auf den anderen übertragen.

Allerdings sollten sich Gründer von Anfang an global aufstellen. „Konsumenten- und E-Commerce-Themen sind regional geprägt. Es dauert, bis eine US-Firma nach Europa kommt“, sagt Christoph Janz. „Wenn du etwas Technisches für die Industrie baust, sollte es schnell internationale Relevanz haben.“ Auch deshalb halten die Point-Nine-Partner nach Gründungen weltweit Ausschau, knapp ein Viertel ihrer Start-ups kommt aber mittlerweile aus Deutschland.

Als Paradebeispiel aus dem eigenen Portfolio nennt Janz den Content-Management-Anbieter Contentful. Die Berliner Firma habe seit der Gründung im Jahr 2012 den US-Markt anvisiert. Dort seien Unternehmen schon früher offen für das Abomodell gewesen – auch dank der Pionierarbeit des Clouddienstleisters Salesforce – bis heute eines der größten SaaS-Unternehmen der Welt.

Contentful kratzt nach einer 80-Millionen-Dollar-Runde im Juni an der Milliardenbewertung. Es könnte die nächste Firma sein, aus der nach einem Seed-Investment von Point Nine ein sogenanntes Einhorn wird. Zu dieser Kategorie zählen schon die Smartphone-Bank Revolut aus London sowie die Kopenhagener Kundensupportplattform Zendesk und Delivery Hero. Die beiden letztgenannten haben sogar den „Decacorn“-Status erreicht – Bewertungen von mehr als zehn Milliarden Dollar.

Die neue Gründergeneration profitiert auch von einem Bewusstseinswandel im Heimatmarkt, beobachtet Janz: „Deutschland und Frankreich galten lange als schwierige SaaS-Märkte, aber das ändert sich langsam.“ Überlegungen, Deutschland zu verlassen, gab es bei Point Nine nie. Für den in Polen geborenen Chudzinski ist Berlin die Wahlheimat, Janz wollte in Stuttgart bleiben: „Wir haben immer gewettet: Es werden Software-Start-ups im Geschäftskundensegment aus Europa kommen“, sagt Chudzinski.

Sie scheinen recht zu behalten: „Wir sehen mehr und mehr Start-ups in Europa, die Branchenlösungen bauen“, sagt Janz. „Es entstehen jetzt Software und Marktplätze in Branchen, in denen die europäische Wirtschaft stark ist, teilweise mit Überschneidungen zum deutschen Mittelstand.“ Im Portfolio von Point Nine spiegelt sich das etwa in Laserhub aus Stuttgart wider.

Auf der Plattform für Laser-Blechbearbeitung finden Firmen Standardteile und Spezialbedarf. „Das ist ein riesiger Markt, aber auf die Idee kommt man nicht im Silicon Valley“, sagt Janz. „Auf die Idee kommt jemand, der am Neckar zwischen den Autozulieferern groß geworden ist, die den Markt darstellen.“

Ein weiteres Beispiel ist Metals-Hub aus Düsseldorf. Menschen aus aller Welt handelten auf der Plattform Metalle, sagen die Investoren. „Eigentlich erstaunlich, dass es das nicht früher gab – aber so ist es in einigen Industrien“, sagt Chudzinski.

Entscheidend für den Erfolg der Point-Nine-Wette wird allerdings sein, ob und zu welchem Preis solche industriespezifischen Dienste am Ende an die Börse gehen oder verkauft werden und wie stark ihre Anteile bis dahin verwässert werden. „Die Bewertung von Lieferhelds Seed-Runde war etwa 1000-mal kleiner als der aktuelle Wert der Firma“, schrieb Pawel Chudzinski 2017 in einem Blogeintrag über den Börsengang von Delivery Hero, in dem Lieferheld aufging. Das hieße in keiner Weise, dass für Point Nine das Tausendfache des Investments herausspringt. „Nicht annähernd.“

Wer sind die besten Seed-Investoren?

Valide Aussagen über den Erfolg von Seed-Investoren zu treffen oder sie mit anderen Risikokapitalgebern zu vergleichen ist aus mehreren Gründen schwierig. Geheimhaltung und lange Laufzeiten sorgen für Intransparenz und Ungewissheit. Chudzinski und Janz gehen von zehn Jahren zwischen Seed-Investment und IPO aus. Auf dem Weg machen auch Firmen wie Delivery Hero kritische Phasen durch, in denen das Investment alles andere als sicher ist.

Die Investoren-Datenbank Dealroom nutzt als Erfolgsindikator die Quote an Seed-Investments, auf die innerhalb von 36 Monaten eine sogenannte Series-A-Finanzierung folgt. Im Schnitt gelingt das bei fast jedem fünften Start-up. Point Nine zählt mit einer Quote von 50 Prozent laut dem Dienst zu den Top-Seed-Investoren Europas.

Auch Insider sagen, Point Nine gehöre zu den deutschen Seed-Investoren mit dem besten „Track Record“. „Gegen die würde ich nicht wetten“, sagt ein Berliner Investor, der nicht namentlich genannt werden will. Die Liste namhafter Wagniskapitalgeber, die zusammen mit Point Nine investieren oder später einsteigen, ist hingegen lang. Dazu zählen Sequoia und Accel aus Kalifornien, Index aus Genf, Balderton aus London.

Was ist das Erfolgsgeheimnis? „Wir haben über viele Jahre Frühfinanzierung in Marktplätze und SaaS im B2B-Markt Erfahrung, Wissen und Netzwerke aufgebaut“, erklärt Janz. „Wir machen einfach ganz viele Sachen nicht und fokussieren uns auf unser Spezialgebiet.“

Mit dem Start von Fonds fünf entscheiden bei Point Nine ab sofort zwei weitere Partner mit über die Investments von 500.000 bis 2,5 Millionen Euro: der 29-jährige Franzose Louis Coppey und der 30-jährige Portugiese Ricardo Sequerra Amram. „Unterschiedliche Erfahrungen, Sprache und Kultur werden helfen, uns noch besser mit Gründern überall in Europa zu verbinden“, sagt Christoph Janz. Ihnen versprechen sie auch die Beteiligung bei einer möglichen Folge-Finanzierungsrunde.

Ob die vier Partner in jeder Industrie ein Einhorn finden können? Pawel Chudzinski steigert die Erwartungen: Natürlich komme es immer auch auf die Gründer und ihr Duchhaltevermögen an. Aber: „Einhorn-Potenzial sehen wir in jeder Industrie. Die Frage ist, wo man Decacorns bauen kann.“

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