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Bildung
Wie Gostudent seine Marktmacht mit unlauteren Methoden aufgebaut hat

Gostudent gilt als Europas wertvollstes Bildungs-Start-up. Das erreichte die Nachhilfeplattform auch durch wettbewerbswidriges Verhalten.

16.02.2023 | von Luisa Bomke

Online-Nachhilfe am heimischen Rechner © GoStudent

Düsseldorf Das Kölner Landgericht hat Gostudent in 17 von 20 Punkten verurteilt. Aus dem Urteil, das dem Handelsblatt vorliegt, geht hervor: Das Bildungs-Start-up hat auf seinen Webseiten „irreführende“ und „intransparente Angaben“ gemacht und so Wettbewerber „unbegründet benachteiligt“. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig.

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In neun Punkten erkennt Gostudent das Urteil des Landgerichts an. Gegen die anderen acht hat die Nachhilfeplattform jetzt Berufung eingelegt. Sobald das Urteil rechtskräftig wird, muss Gostudent sein Marketing und zahlreiche Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ändern, ansonsten drohen dem Unternehmen hohe Strafen.

Gostudent ist eines von zahlreichen Start-ups, die in den vergangenen Jahren vor allem auf Wachstum gesetzt haben. Im Januar 2022 nahm die Nachhilfeplattform 300 Millionen Euro auf, die CEO Felix Ohswald nutzen wollte, um zu expandieren. Ohswald und seine Co-Gründer Gregor Müller und Ferdinand von Hagen gingen dabei jedoch offenbar einen Schritt zu weit: Europas wertvollstes Bildungs-Start-up verstieß gegen das Wettbewerbsrecht. Die Verstöße benachteiligten nicht nur Konkurrenten von Gostudent auf dem Nachhilfemarkt, sondern auch Kunden und Tutoren.

Online-Nachhilfe: GoStudent galt lange als Österreichs Vorzeige-Start-up

Eingereicht hatte die Klage Patrick Nadler. Der Unternehmer ist Gründer des Gostudent-Konkurrenten Tutorspace. Im Gespräch mit dem Handelsblatt begründet Nadler die Klage vor dem Landgericht Köln: „Es kann meines Erachtens nicht sein, dass derjenige, der das meiste Geld hat, sich nicht an die Regeln halten muss. Disruption ist nicht gleich Verantwortungslosigkeit.“

Gostudent teilte auf Anfrage des Handelsblatts mit: „Das Urteil des Landgerichts Köln ist noch nicht rechtskräftig.“ Dennoch setze sich das Start-up intensiv mit der Beurteilung des Gerichts auseinander und es habe „bereits erste Änderungen implementiert“, um gegenüber den Kunden transparenter zu werden.

Lange galt Gostudent als das österreichische Vorzeige-Start-up: Innerhalb von sieben Jahren erweiterte das Unternehmen sein Geschäft auf 20 Länder, es vermittelt aktuell weltweit über 23.000 Tutoren und registriert jeden Monat mehr als 1,5 Millionen gebuchte Nachhilfestunden. Seit 2017 sammelte Gostudent mehr als 590 Millionen Euro ein. Die Vision der drei Österreicher schien wahr zu werden: Sie wollten die Nummer-eins-Nachhilfeschule weltweit aufbauen.

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Patrick Nadler © Tutorspace

Damit werben, bereits die Nummer eins zu sein, darf Gostudent aber nicht mehr. Den Slogan „#1 Nachhilfeschule weltweit“ stufte das Gericht als irreführende Alleinwerbung ein. Die Aussage sei nicht ausreichend bewiesen. Gleiches gilt für die Werbung mit 100-prozentiger Datensicherheit. Gostudent weiß, dass die Werbeaussagen „bewusst ambitioniert gewählt“ sind. Man wolle als „junges und mutiges Unternehmen“ aber weiterhin daran arbeiten, die beste Nachhilfeschule der Welt zu bauen. Das Thema Datensicherheit liege Gostudent dabei besonders am Herzen.

GoStudent darf nicht mehr mit Firmenlogos werben

Darüber hinaus ist es Gostudent fortan verboten, den Hinweis „Empfohlen von ...“ auf seiner Website zu nutzen und darunter die Logos der Medien „Kurier“, „Forbes“ und „Zeit“ abzubilden. In diesen Publikationen wurde Gostudent zwar erwähnt, empfohlen haben die Medien das Start-up aber nicht. Auch das Logo des Handelsblatts nutzte Gostudent ohne Rechte im direkten Zusammenhang mit der Aussage: „von Experten empfohlen“.

Das österreichische Bildungs-Start-up ist keine Nachhilfeschule an sich, sondern agiert als Plattform. Die 23.000 Tutorinnen und Tutoren arbeiten als freie Mitarbeitende. Gostudent kassiert lediglich eine Provision für die Vermittlung. Die verschiedenen Nachhilfepakete umfassen eine Dauer von sechs bis 36 Monaten. Festgehalten werden die Rahmenbedingungen des vertraglichen Verhältnisses in den AGB. Das Kölner Landgericht verbot gleich mehrere Klauseln.

So auch: „Nach Ablauf der Laufzeit verlängert sich der Vertrag um ein weiteres Paket zu denselben Konditionen (Einheiten, Zeitraum und Preis).“ Das Landgericht entschied, dass die Klausel „unwirksam“ ist, da die Kunden kein neues Paket buchen und es sich nicht um ein Abomodell handelt. Auch die Entfernung des gesetzlichen Widerrufsrechts (14 Tage) nach der ersten genutzten Unterrichtseinheit erklärte das Gericht für unwirksam. Gleiches gilt für die Klausel, dass Tutoren dazu verpflichtet sind, adäquaten Ersatz zu finden, falls sie keine Nachhilfestunden mehr geben wollen; ansonsten würde der Lohn einbehalten.

Gostudent teilte mit: „Geänderte rechtliche Rahmenbedingungen für AGB-Klauseln in Deutschland erfordern laufend Anpassungen an unseren AGB, so, wie dies auch für alle anderen Unternehmen am Markt der Fall ist.“ Deshalb werde die Rechtslage laufend beobachtet und es würden „– wenn notwendig – Änderungen vorgenommen“. Das Urteil bestätige jetzt lediglich Änderungen, die von Gostudent zum Vorteil aller Kunden geplant gewesen seien.

Nadler wollte das Verhalten von Gostudent nicht mehr dulden und zog vor Gericht. Der Tutorspace-Gründer sitzt auch dem Bundesverband für Nachmittags- und Nachhilfeschulen vor. Gerade im Bereich der Bildung empfindet Nadler das Vorgehen von Gostudent als höchst problematisch: „Da kann das Verhalten von solchen Marktteilnehmern unangenehme Folgen haben.“

Beim Thema Bildung hört der Spaß auf

Unklar bleibt zunächst, wie umfassend die Folgen für Gostudent sind. Gegen acht von 17 Punkten hat das Start-up Berufung eingelegt. Nun werden Richter in zweiter Instanz entscheiden, ob auch die Klauseln und Methoden verboten werden. Gostudent ist überzeugt, dass diese Punkte nicht wettbewerbswidrig sind, und hofft, „dass das Instanzgericht unseren Ansichten folgen wird.“

Felix Ohswald (l.) und Gregor Müller © Stefan Knittel

So legte Gostudent unter anderem Berufung gegen die Entscheidung des Gerichts ein, nicht mehr mit der Aussage „Top-Nachhilfelehrer in deiner Nähe“ werben zu dürfen. Denn Gostudent bot als Online-Nachhilfeplattform keine Vor-Ort-Nachhilfe an. Im November hat das Start-up jedoch das Vor-Ort-Nachhilfeunternehmen Studienkreis gekauft.

Des Weiteren entschied das Gericht in erster Instanz, dass Gostudent unlautere Werbemethoden nutzte: Unter „www.nachhilfe-im-vergleich.com“ warb Gostudent damit, dass Nutzer eine „Anfrage stellen – Bewerber vergleichen – perfekten Lehrer finden“ könnten. Doch statt Tutoren verschiedener Anbieter zu vergleichen, wurden den Nutzern ausschließlich Tutoren von Gostudent vorgeschlagen. Auch das will Gostudent überprüfen lassen.

Die wohl schwerwiegendsten finanziellen Folgen dürfte aber wohl diese Entscheidung des Gerichts haben: Wenn ein Schüler nicht zum Onlinekurs erscheint, stellt Gostudent ihm die Stunde trotzdem in Rechnung. Abgegeben hat die Firma den betroffenen Lehrkräften davon aber nichts. Das Gericht entschied: Das ist nicht rechtens.

Monatelanger Rechtsstreit zwischen GoStudent und Tutorspace

Gostudent darf als Vermittlungsplattform Lohn von Tutoren nicht einbehalten. Dies sei eine „nicht angemessene Benachteiligung“ der Lehrkräfte. Als Plattform ist es Gostudent ausschließlich erlaubt, Guthaben weiterzureichen und dafür eine Provision zu kassieren. Auf Grundlage des Urteils könnten Nachhilfelehrer den einbehaltenen Lohn einfordern, sollte das Urteil des Gerichts rechtskräftig werden.

Seit März dauert der Rechtsstreit zwischen Gostudent und Tutorspace nun schon an. Für Nadler liegt auf der Hand: „Meiner Meinung nach hat Gostudent versucht, jeden Tag auszunutzen, an dem das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.“ Gostudent äußerte sich gegenüber dem Handelsblatt nicht dazu.

Schon in den vergangenen Monaten sorgte das Bildungs-Start-up immer wieder für Negativschlagzeilen: So entließ Gostudent im vergangenen Jahr Hunderte Mitarbeitende und verfehlte interne Ziele. Wie das Handelsblatt berichtete, hat ein großer Anteilseigner die Firma schon Ende Juni 2022 nur noch auf umgerechnet 1,7 Milliarden Euro taxiert.

Dabei verstand sich Ohswald in der Vergangenheit eher als Visionär denn als Krisenmanager. 2021 antwortete er in einem „Gründerszene“-Interview auf die Frage, wie sein bester Freund ihn beschreiben würde: „Jemand, der manchmal einen Schritt zu weit geht, ganz nach dem Motto: be fast or be last.“ Das Urteil des Landgerichts Köln zeigt: Ohswald ist nicht nur einen Schritt zu weit gegangen.

Erstpublikation: 14.02.2023, 19:29 Uhr.

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