Gaspipeline US-Drohungen wegen Nord Stream 2 schlagen hohe Wellen – Bundesregierung hält sich zurück
Nach den angedrohten Sanktionen gegen den Hafen Sassnitz erwägen Wirtschaft und Politik Gegenmaßnahmen. Berlin schreckt vor einer Zuspitzung des Streits zurück.
08.08.2020 | von Klaus Stratmann, Moritz Koch und Ruth Berschens
Verlegeschiff für Nord Stream 2 im Hafen Sassnitz © imago images/Jens Koehler
Berlin, Brüssel Was Kommunalpolitiker auf Rügen normalerweise so beschäftigt? Die Sorgen von Hoteliers und Umweltschützern zum Beispiel. Oder die Klagen von Fischern, dass der Bodden-Hecht selten wird. Frank Kracht, Bürgermeister von Sassnitz, muss sich derzeit mit einem anderen Thema befassen.
Seine Stadt steht im Zentrum einer geopolitischen Auseinandersetzung zwischen den USA und Deutschland um die Ostseepipeline Nord Stream 2. US-Senatoren um den Texaner Ted Cruz haben in einem Brief davor gewarnt, dass die Vereinigten Staaten den Hafen von Sassnitz mit Sanktionen „finanziell zerstören“ könnten, wenn dieser weiter als logistische Basis des Bauvorhabens dienen sollte.
Von einer „massiven Drohung“ spricht Kracht. Nicht nur gegen die Eigentümer des Hafens – die Stadt Sassnitz und das Land Mecklenburg-Vorpommern. Sondern auch gegen die Mitarbeiter. „Ich erwarte aus Berlin die ganz klare Aussage, dass wir uns von den USA nicht in unsere Energiepolitik reinreden lassen“, sagt Kracht. Die Bundesregierung stehe in der Pflicht, seiner Stadt zu beizustehen.
Das sieht man in der deutschen Wirtschaft genau so. Deutschland und die EU müssten der Sanktionspolitik der USA endlich geschlossen entgegentreten, sagte Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft. „Lippenbekenntnisse bringen uns nicht weiter. Deshalb fordern wir Bundesregierung und EU-Kommission nachdrücklich dazu auf, deutsche und europäische Unternehmen wirksam vor solchen Übergriffen durch Drittstaaten zu schützen“, sagte Hermes.
Der Ostausschuss-Vorsitzende forderte einen „finanziellen und juristischen Schutzschirm für europäische Unternehmen gegen extraterritoriale Sanktionen von Drittstaaten“. Darüber hinaus sei es an der Zeit, über „gezielte Gegenmaßnahmen“ nachzudenken.
„Zutiefst beunruhigend“
Die Bundesregierung ist sich der Brisanz der Lage bewusst. Das Auswärtige Amt verurteilt das Vorgehen der Amerikaner mit Worten, die es sonst für strategische Rivalen reserviert. Als „schwerwiegenden Eingriff in unsere nationale Souveränität“ bezeichnet Außenstaatsminister Niels Annen das Schreiben aus Washington.
Tonfall und Inhalt seien „völlig inakzeptabel“. Deutschland wolle daher seine EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um Maßnahmen gegen die exterritorialen US-Sanktionen weiterzuentwickeln, darunter die „Blocking-Verordnung“.
Die Blocking-Verordnung wurde Mitte der 1990er Jahre-erlassen, um europäische Unternehmen vor Handelsstrafen durch Drittländer zu schützen. Besonders wirksam ist das Instrument allerdings nicht. Zuletzt konnte sie weder den Exodus von EU-Firmen aus dem Iran verhindern, noch hat sie die Amerikaner von ihrer Kampagne gegen Nord Stream 2 abgebracht.
Eine Sprecherin der Kommission in Brüssel nannte die Sanktionspläne der Amerikaner „zutiefst beunruhigend“. Die extraterritoriale Anwendung von Sanktionen verstoße gegen internationales Recht. „Europäische Politik wird in Brüssel entschieden, und nicht in Drittstaaten.“
Die wirksamste Gegenmaßnahme der Europäer wäre es, die Drohung mit Sanktionen einfach zu erwidern. So könnte die EU den Zugang zum europäischen Markt für US-Firmen einschränken, solange die Amerikaner nicht von ihren Sanktionen ablassen.
Die Bundesregierung, speziell das Wirtschaftsministerium, aber schreckt vor dieser Zuspitzung zurück, sie würde wohl in einen Wirtschaftskrieg münden. Eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mahnt: „Gerade in der aktuellen Coronakrise ist nicht Zeit, um an der Eskalationsspirale zu drehen und weitere Sanktionen anzudrohen. Vielmehr brauchen wir eine Versachlichung der Debatte.“
Die Bundesregierung weiß genau: Ihre strategische Position wird dadurch geschwächt, dass Nord Stream 2 auch in Europa viele Gegner hat. Polen und Balten etwa lehnen eine Vertiefung der Energiepartnerschaft mit Russland strikt ab.
Beschwerde bei der WTO
Koalitionspolitiker dagegen halten Gegensanktionen für eine Option. Joachim Pfeiffer hat schon eine empfindliche Stelle ausgemacht: Importstrafzölle auf verflüssigtes Erdgas (Liquefied Natural Gas, kurz LNG) aus den USA seien „eine mögliche Option, müssen aber die Ultima Ratio bleiben“, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion dem Handelsblatt.
Die Drohungen der drei US-Senatoren seien „unter Verbündeten absolut inakzeptabel“, sagte Pfeiffer. „Mit dem völlig unangebrachten Vorgehen greifen sie erneut die Souveränität Deutschlands und Europas an und schaden weiter dem einstigen vertrauensvollen transatlantischen Verhältnis“, sagte Pfeiffer.
„Die Bundesregierung muss jetzt gemeinsam mit der EU-Kommission über weitere Maßnahmen beraten“, sagte Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dem Handelsblatt. Da die US-Sanktionen bislang nur angedroht, aber noch nicht umgesetzt worden seien, seien die handelspolitischen Instrumente der Welthandelsorganisation (WTO) ein stumpfes Schwert.
Sollten die Sanktionen dagegen umgesetzt werden, könnte eine Beschwerde bei der WTO nach Westphals Einschätzung erfolgreich sein, da die Begründung der USA, die nationale Sicherheit sei gefährdet, voraussichtlich nicht ausreichend sei.
Die Drohbriefe der Senatoren „beeindrucken mich nicht“, sagte der SPD-Politiker. Die politische und ökonomische Abhängigkeit der Senatoren von der US-Öl- und Gasindustrie sei offensichtlich. „Ich hoffe, die Geschäftsführung des Hafens in Sassnitz sieht das genauso und bleibt bei ihrem Vorhaben, die Fertigstellung von Nord Stream 2 zu unterstützen“, sagte Westphal.