EU-Klimaschutz „Energetisch ist der Bitcoin völliger Irrsinn“: Erste Europapolitiker fordern Verbot von Kryptowährungen
Das sogenannte Mining verbraucht Unmengen Strom. Bisher scheut die EU-Kommission davor zurück, das Thema zugunsten des Klimaschutzes anzugehen.
04.02.2022 | von Christoph Herwartz und Helmut Steuer
Braunkohlekraftwerk Niederaussem © imago images/blickwinkel
Brüssel, Stockholm Sparsame Autos, gedämmte Häuser, moderne Industrieanlagen: Um klimaneutral zu werden, versucht Europa, so viel Energie wie möglich einzusparen. Die Krypto-Industrie ist dabei noch nicht im Fokus. Dabei verbraucht sie Unmengen an Strom, wächst immer weiter und fasst mittlerweile auch in Europa Fuß.
Die EU will demnächst Kryptowährungen regulieren. Doch Öko-Aspekte werden in den Entwürfen nicht thematisiert – zum Ärger einzelner Europaabgeordneter. Der spanische Grünen-Abgeordnete Ernest Urtasun verweist auf verbindliche Energieeffizienzkriterien in anderen Wirtschaftszweigen. „Warum sollte das Kryptomining eine Ausnahme sein?“
SPD-Politiker Joachim Schuster meint: „Energetisch ist der Bitcoin völliger Irrsinn.“ Mit Bitcoin würden zudem Geschäfte verschleiert. „Anstatt das umständlich zu regulieren, sollte man ihn einfach verbieten – das Mining, die Transaktionen, den Besitz“, fordert der Sozialdemokrat.
Die wichtigsten Kryptowährungen Bitcoin und Ether beruhen auf eine Technik, die extrem viel Strom verbraucht. Neue Coins werden geschaffen, indem Spezialcomputer immer kompliziertere Aufgaben lösen. Darum wachsen die Serverfarmen immer weiter, werden immer wieder mit neuester Technik ausgestattet und belasten die Stromnetze.
Während die EU stromfressende Kühlschränke verboten hat und sich Industrieunternehmen für ihren Energieverbrauch rechtfertigen müssen, läuft das Geschäft mit Kryptowährungen bisher ungehindert.
China dagegen hat im vergangenen Jahr die energieintensive Schürfmethode „proof of work“ verboten. Das Mining sei eine extrem schädliche Industrie, die den Plan gefährde, klimaneutral zu werden, argumentierte die Regierung. Bis dahin entstand fast jeder zweite Bitcoin in China.
Viele Miner brachten ihre Server danach offenbar über die Grenze nach Kasachstan: Dort verdoppelte sich die Rechenleistung des Bitcoin-Netzwerks. In Kasachstan ist Kohlestrom besonders billig. Die Regierung unterstützte den neuen Wirtschaftszweig mit Hunderten Millionen Dollar. Doch dann häuften sich Berichte über Stromausfälle. Das Land musste sogar Strom aus Russland zukaufen. Nun denkt die Regierung über den Bau von Atomkraftwerken nach.
130 Terawattstunden Stromverbrauch pro Jahr weltweit
Wie viel Strom der Bitcoin verbraucht, erfasst ein Index der Universität Cambridge. Demnach waren es zuletzt pro Jahr weltweit gut 130 Terawattstunden. Die passenden Vergleichsgrößen liefern die Forscher gleich mit: Der Bitcoin hat die Niederlande bereits überholt, bis zum Verbrauch Polens fehlt noch etwas.
Wie viel dieser Energie in Europa verbraucht wird, lässt sich nicht genau sagen. Laut Statistik entstanden im August vergangenen Jahres fast fünf Prozent der Bitcoin in Deutschland. Neuere Daten gibt es nicht. Außerdem ist es möglich, dass zwar deutsche IP-Adressen genutzt wurden, die Rechner aber woanders stehen, wie die Wissenschaftler selbst einräumen.
Erst wenige Staaten haben sich wie China dazu entschlossen, das Bitcoin-Mining zu verbieten. Dazu zählen unter anderem Ägypten, der Irak, Algerien und Tunesien. Manche haben darüber hinaus Transaktionen verboten. Um den Energieverbrauch zu senken, würde es ausreichen, das Mining zu verbieten.
Eine große Demokratie wie die EU, die für andere zum Vorbild werden könnte, hat einen solchen Schritt bisher nicht gewagt. Die Debatte dazu kommt kaum in Gang. Jean-Pierre Schweitzer vom Europäischen Umweltbüro EEB beobachtet, dass Krypto bisher kein typisches Thema für Umweltschutzorganisationen ist, dabei gehe es um enorme Mengen an Energie. „Wahrscheinlich ist vielen das Thema zu neu oder zu kompliziert“, vermutet Schweitzer.
Die Initiative dafür müsste die EU-Kommission ergreifen. Man sei in Diskussionen mit den Mitgliedstaaten über Fragen der Nachhaltigkeit bei Kryptowährungen, sagt ein Vertreter der Kommission. Konkrete Pläne für ein Verbot gibt es offensichtlich nicht. „Die Kommission ermutigt die Industrie, Anwendungen von sehr energieintensiven Blockchains der ersten Generationen auf modernere Blockchain-Protokolle zu migrieren“, heißt es lediglich.
Aufmerksamkeit für das Thema erregte vor einigen Wochen Erik Thedéen, Vizechef der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde Esma. Zwischen April und August 2021 hätte sich der Stromverbrauch für das Mining in Schweden vervielfacht und sei nun so hoch wie der Verbrauch von 200.000 schwedischen Haushalten, schrieb er in einem Blogeintrag: „Die Emissionen müssen hier und jetzt gestoppt werden, erneuerbare Energien werden für wichtige Zwecke gebraucht.“
Decentralized Finance (DeFi) – Glossar
Blockchain
Blockchain heißt eine Datenbanktechnik, die nicht von einer zentralen Instanz, sondern dezentral verwaltet wird. Da jeder Nutzer über eine Kopie verfügt und alle gespeicherten Transaktionen dauerhaft einsehen kann, gilt die Blockchain praktisch als fälschungssicher. Ihre erste Anwendung war die Kryptowährung Bitcoin.
Ethereum
Die digitale Infrastruktur basiert auf der Blockchain-Technologie. Neben dem Handel mit der zugehörigen Kryptowährung Ether können im Netzwerk auch Dienstleistungen oder Verträge abgelegt werden. Sogenannte smarte Verträge („smart contracts“) führen dabei automatisch die programmierten Vereinbarungen aus, sobald die vorher ebenfalls im Code festgelegten Bedingungen erfüllt sind.
Stablecoins
Hinter diesem Konzept stehen wertstabile Kryptowährungen. Im Unterschied zu den stark schwankenden freien Coins, zu denen auch der Bitcoin zählt, ist ihr Kurs stabiler. Möglich wird das, indem sie durch reale Anlagen abgesichert werden, etwa durch traditionelle Währungen wie den Dollar oder auch durch Staatsanleihen.
Token
Token sind virtuelle Abbilder physischer Assets. „Tokenisierung“ bezeichnet den Ansatz, klassische Wertpapiere, Aktien, Anleihen, aber auch Immobilienbeteiligungen, Kunstwerke und Sammlerobjekte virtuell handelbar zu machen.
In Schweden gibt es vier Stromtarifzonen. Im Norden zahlen die Kunden nur rund ein Drittel verglichen mit den Tarifen für ihre Landsleute im Süden. Denn in Nordschweden liefern Wasserkraftwerke billigen Strom. Die Trassen reichen nicht aus, ihn in den Süden zu bringen.
Die kanadische Firma Hive schürft darum in Lappland die Kryptowährung Ether, die wie der Bitcoin mit der stromintensiven „Proof of work“-Methode geschaffen wird. Seine Firma nutze die Abwärme der Rechner zum Heizen von Gewächshäusern, Schwimmbädern und Tennishallen, sagt CEO Frank Holmes.
Vor allem aber fahre Hive seine Rechenzentren herunter, wenn die Nachfrage von anderen Stromkunden steigt. Das kann tatsächlich ein Zukunftsmodell sein: Je mehr Wind- und Sonnenenergie im Netz sind, desto hilfreicher ist es, wenn die Abnehmer auf ein schwankendes Angebot reagieren können. In Zeiten mit viel Wind und Sonne müssen Windräder sonst abgeregelt werden. Je mehr Windräder und Sonnenkollektoren installiert sind, desto mehr Energie geht dann verloren.
Diese Lücke sollen bald Wasserstoffproduzenten füllen. Spätestens dann wäre die Behauptung nicht mehr aufrechtzuerhalten, dass Kryptowährungen mit Strom geschürft werden, der von niemandem sonst nachgefragt wird.
Besonders realistisch ist das laut Alfred Taudes, Blockchain-Forscher an der Universität Wien, schon heute nicht. „Damit sich die Investition in eine Bitcoin-Mine lohnt, muss sie permanent laufen. Man kann sie nicht nur dann betreiben, wenn gerade die Sonne scheint.“
Je höher der Bitcoin-Kurs, desto mehr Schrott
Hinzu kommt, dass die Hardware von Kryptominen alle anderthalb bis zwei Jahre ausgetauscht wird und die alten Geräte praktisch wertlos sind. Wissenschaftler taxierten die Menge des dadurch anfallenden Elektroschrotts auf 30.000 bis 65.000 Tonnen pro Jahr. Je höher der Bitcoin-Kurs steigt, desto mehr Schrott fällt an. Taudes ist dennoch gegen ein Verbot. „Was sinnvoll ist und was nicht, sollte kein Regulierer, sondern der Markt entscheiden“, sagt er.
Stefan Berger warnt vor negativen Konsequenzen eines Verbots. „Wir stehen am Beginn einer faszinierenden Entwicklung“, sagt der CDU-Politiker, der im Europaparlament die Mica-Richtlinie zur Regulierung von Kryptowährungen verantwortet. „Rund um Kryptowährungen entsteht viel Neues, was auch gesellschaftliche Veränderungen anstoßen kann. Ein Verbot wäre technologiefeindlich.“ Der Bitcoin sei ein Innovationstreiber. Die Mica-Richtlinie soll neue Kryptowährungen aus geldpolitischer Sicht regulieren. „Wenn das Europaparlament, vor allem die Fraktion der Sozialdemokraten und der Grünen, die ,Proof of work‘-Methode verbieten will, macht es sich lächerlich.“
Zum Klimaaspekt sagt Berger: „Solange Bitcoin mit erneuerbarer Energie erzeugt werden, kann ich kein Problem erkennen.“ Sein SPD-Kollege sieht das anders: „Wir werden in den nächsten 30 Jahren immer eine Knappheit haben“, sagt Schuster. „Darum müssen wir auf überflüssige Verbräuche verzichten.“
Moderne Alternativen gibt es längst. Neuere Kryptowährungen setzen auf andere Verfahren, die deutlich weniger Strom verbrauchen. Viele Vorzüge des Bitcoins, also etwa die einfachen und schnellen Transaktionen, wurden für diese Währungen noch weiter entwickelt.
Ether soll vom „Proof of work“-Verfahren auf „proof of stake“ umgestellt werden. Dabei ist nicht die Rechenpower ausschlaggebend, sondern bereits vorhandenes Kryptovermögen. Laut einem Report der Forschungsgruppe Crypto Carbon Ratings Institute kommt diese Methode mit 0,001 Prozent der Energie aus, die das Bitcoin-Mining verbraucht. Allerdings hat Ethereum den Schritt schon lange angekündigt, ohne ihn bislang umzusetzen.
Technisch wäre eine Umstellung sogar beim Bitcoin möglich. Allerdings müssten sich darauf die Betreiber der Bitcoin-Minen verständigen, womit sie ihr eigenes Geschäftsmodell zerstören würden. Dass sie dies tun, ist praktisch ausgeschlossen.