Versorgungssicherheit Industrie will Gaskraftwerke nur noch im Ausnahmefall einsetzen
Große Energieverbraucher aus der Industrie sprechen sich dafür aus, den Einsatz von Gaskraftwerken zu begrenzen. Sie wollen so die Gasvorräte schonen.
06.05.2022 | von Klaus Stratmann
Gaskraftwerk in Leuna © dpa
Berlin Nach Überzeugung des Verbandes der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) sollten Gaskraftwerke nur noch in Ausnahmefällen genutzt werden. „Der Einsatz von Erdgas zur Stromerzeugung muss auf das absolut unverzichtbare Minimum reduziert werden“, sagte VIK-Geschäftsführer Christian Seyfert dem Handelsblatt. Der Verband repräsentiert Unternehmen, die zusammen für rund 80 Prozent des Energieeinsatzes in der Industrie stehen.
Seyfert setzt stattdessen auf den verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken. Angesichts der dramatischen Verwerfungen auf den Energiemärkten sei es „nicht vertretbar, an sämtlichen Regelungen festzuhalten, die den Einsatz von Kohle im Kraftwerksbereich reduzieren sollen“, sagte Seyfert. So müssten für die Dauer der Krise beispielsweise die Stilllegungsauktionen für Steinkohlekraftwerke nach dem Kohleausstiegsgesetz unterbrochen werden, forderte er.
In einer Beschlussvorlage für den VIK-Vorstand heißt es außerdem, die gesetzlich festgelegten Stilllegungstermine für Braunkohlekraftwerke in den Jahren 2022 und 2023 müssten auf Ende 2024 verschoben werden. Zusätzlich sollte „unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich verschärften Situation die beabsichtigte Stilllegung der letzten Kernkraftwerke zum Jahreswechsel nochmals kritisch geprüft werden, da deren Ersatz laut Plan durch Erdgaskraftwerke erfolgen soll“. Allein dies „entspräche einer Verdopplung des aktuellen Erdgasverbrauchs von Kraftwerken ohne Wärmeauskopplung“, also von Gaskraftwerken, die lediglich Strom liefern.
Die Forderungen des VIK sind ein weiterer Beleg dafür, dass sich große Teile der Wirtschaft Sorgen machen, spätestens im kommenden Winter nicht mehr ausreichend Gas zur Verfügung zu haben. Daher wird es vielerorts für sinnvoll gehalten, heute schon möglichst wenig Gas einzusetzen und so die Reserven der Gasspeicher zu schonen.
Derzeit läuft unter großen Gasverbrauchern eine Umfrage der Bundesnetzagentur. Die Agentur will die Bedarfe ermitteln und sich zugleich ein Bild davon verschaffen, welche Unternehmen systemrelevant sind oder durch eine Unterbrechung oder Reduzierung der Gaszufuhr besonders große Schäden erleiden würden.
Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, hatte kürzlich angeregt, zusätzlich ein Auktionssystem einzuführen, sollte es zu Versorgungsunterbrechungen kommen. Ökonomen unterstützen solche Überlegungen.
Habeck plädiert für pragmatisches Vorgehen
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich schon Anfang März, also wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, für eine pragmatische Herangehensweise zur Bewältigung von Engpass-Situationen ausgesprochen. Er schließe nicht aus, dass Kohlekraftwerke länger laufen müssten, um energiepolitisch unabhängiger von Russland zu werden, hatte er gesagt. Das Ministerium teilte am Donnerstag auf Anfrage mit, man prüfe zurzeit „wie dem Markt insbesondere für den kommenden Winter zusätzliche Stromerzeugungskapazitäten - außer Gas - zur Verfügung gestellt werden können“. Ziel sei es, Gas einzusparen. „Die genaue Ausgestaltung steht noch nicht fest.“ Man werde einen Vorschlag vorlegen. Es sei aber bereits klar, dass die Ausschreibungen für die Abschaltung von Steinkohlekraftwerken nicht verschoben würden, weil es bei den anstehenden Ausschreibungen um Stilllegungen erst in einigen Jahren gehe.
Aus Sicht des VIK drängt die Zeit. Es gebe "erhebliche Potenziale", den Einsatz von Gaskraftwerken zu reduzieren. "Seit dem Kriegsbeginn und der Zeitenwende sind bereits viele Wochen verstrichen, wir müssen diese Potenziale nun unverzüglich heben, dafür brauchen wir die Bundesregierung“, sagte Seyfert.
Speicher in Rehden füllt sich langsam
Unterdessen zeichnet sich mit Blick auf die Gasvorräte leichte Entspannung ab: Nach Angaben der Bundesnetzagentur füllt sich Deutschlands größter Erdgasspeicher in Rehden leicht. Betrieben wird der Gasspeicher vom Unternehmen Astora – einer hundertprozentigen Tochter der Gazprom Germania, bei der seit dem 4. April die Netzagentur als Treuhänderin das Sagen hat. Der russische Staatskonzern Gazprom hat dadurch keine Möglichkeit, der Befüllung zu widersprechen.