SPD und Grüne Das Ende der rot-grünen Machtträume
Angela Merkel kann schon einmal den Sekt kalt stellen. Die Aussichten von SPD und Grünen schwinden zusehends. In Umfragen kommen beide nicht vom Fleck. Warum dringen die rot-grünen Frontleute bei den Wählern nicht durch?
06.09.2013 | von Dietmar Neuerer
Spitzentreffen Rot-Grün © dpa
Berlin Gerade noch schien ein Wende hin zum Besseren in greifbarer Nähe. Doch die Pluspunkte, die SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im TV-Duell gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für sich verbuchen konnte, wurden nur wenige Tage später vom grünen Wunschkoalitionspartner zunichte gemacht. Im ARD-„Deutschlandtrend“ fielen die Grünen auf den bisher niedrigsten Zustimmungswert in der laufenden Legislaturperiode – und das gut zwei Wochen vor der Bundestagswahl.
Der Befund ist umso bitterer für die SPD, weil Steinbrück tatsächlich dabei ist, Boden gut zu machen. Auch wenn die Kanzlerin im Direktvergleich vor ihm liegt, so konnte der ehemalige Bundesfinanzminister Steinbrück dennoch sechs Prozent zulegen und käme damit bei einer Direktwahl des Kanzlers auf 34 Prozent. Für Merkel würden sich 54 Prozent entscheiden. Noch besser sieht es für Steinbrück im Politikerranking des „Deutschlandtrends“ aus. Hier konnte er sich sogar um zwölf Prozentpunkte verbessern und erreicht mit 47 Prozent Zustimmung den sechsten Platz, sein bester Wert seit Dezember 2012. Von Merkel ist Steinbrück jedoch immer noch meilenweit entfernt. Immerhin 70 Prozent der Befragten zeigten sich zufrieden mit der Arbeit der Kanzlerin.
Insofern ist Steinbrück auf starke Grüne angewiesen. Da er für sich selbst festgelegt hat, nur in einer rot-grünen Koalition Kanzler zu werden, andere Machtkonstellationen für ihn also keine realistische Option darstellen, müssten die beiden Lager noch deutlich mehr Wähler mobilisieren. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Im Gegenteil: Die rot-grünen Machtträume beginnen sich zusehends zu zersetzen.
Die grünen Vorkämpfer wollen davon naturgemäß nichts wissen, sie reden sich die Lage schön. Am Donnerstag traten die Anführer Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt sowie der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann gemeinsam mit SPD-Kandidat Steinbrück vor die Presse und beschworen die rot-grüne Zukunft, als lägen sie derzeit nicht weit hinter Schwarz-Gelb. Man werde gewinnen, die Umfragen täuschten, die vielen Unentschiedenen brächten die Wende, so der Tenor.
Die Steuerpläne, die auch viele Anhänger erschreckt hatten, erwähnten die Grünen mit keinem Wort. Erst auf Nachfrage sagte Kretschmann, man hoffe eben, „dass Ehrlichkeit belohnt wird“.
Die Spitzenkandidatin der Südwest-Grünen, Kerstin Andreae, reagierte ernüchtert auf den Umfrageeinbruch. „10 Prozent sind nun wirklich nicht das, was ich mir für uns Grüne wünsche am 22. September.“ Es gehe um richtig was bei dieser Wahl, etwa ob die erneuerbaren Energien vorangetrieben oder neue Kohlekraftwerke gebaut werden. „Ich bin deshalb optimistisch, dass wir Grüne bei einer schärferen Auseinandersetzung noch punkten können“, sagte die Vize-Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Handelsblatt Online. „Bis jetzt haben wir eine Einschläferungskampagne der Kanzlerin erlebt.“
Das sei nun vorbei, betonte die Grünen-Politikerin. Die „heiße“ Wahlkampfphase gehe los. „Jetzt wird Tacheles gesprochen, zum Beispiel das die Wahlversprechen der Kanzlerin uns immer weiter in die Verschuldung treiben.“ Diese Schuldenspirale müsse ein Ende haben. „Wir haben noch zwei Wochen, um für diesen Politikwechsel zu werben", so Andreae.
Der Grünen-Finanzpolitiker und Parteilinke Gerhard Schick plädiert für Gelassenheit: „Auch als die Grünen vergangenes Jahr bei 25 Prozent standen, haben wir die Umfragen stets mit großer Zurückhaltung und Vorsicht bewertet. Gleiches gilt für die jetzige Situation“, sagte Schick Handelsblatt Online. „Entscheidend sind die abgegebenen Stimmen am 22. September.“
Forsa-Chef Manfred Güllner prophezeit eine Fortsetzung des Sinkflugs: „Die sinkende Zustimmung für die Grünen ist ein schleichender Prozess und hat den Endpunkt sicher noch nicht erreicht“, sagte er dem Handelsblatt. Und das wo die Partei vor zwei Jahren noch mit 25 Prozent gelistet war und schon als mögliche neue Volkspartei gefeiert wurde. Doch von diesem Nimbus ist nicht mehr viel übrig. Seit einigen Wochen befindet sich die Ökopartei bei allen Meinungsforschern im Sinkflug.
Der Absturz der Grünen
„Ich glaube, dass die Grünen zwischen Bundestagswahlen ein fast schon künstliches Zwischenhoch hatten und sie jetzt im Wahlkampf auf ihre normale Wählerstärke zurückfallen“, analysiert auch der Bamberger Politikwissenschaftler Thomas Saalfeld die Lage. „Das ist möglicherweise auch auf die überlegenen Ressourcen der großen Parteien im Wahlkampf zurückzuführen, möglicherweise auf die stärkere Fokussierung der Medien auf die Bundeskanzlerin und ihren Herausforderer“, sagte Saalfeld Handelsblatt Online.
Bei näherem Hinschauen finden sich allerdings noch weitere Ursachen, warum die Grünen, aber auch die SPD bei den Wählern zunehmend ins Hintertreffen geraten, wie der folgende Überblick zeigt.
Angela Merkel kann regieren wie sie will, die Deutschen mögen sie und wollen sie als Kanzlerin behalten. SPD und Grünen beißen sich an ihrem Regierungsstil die Zähne aus. Heinrich Oberreuter, langjähriger Politikbeobachter und Professor an der Universität Passau, hat eine einfache wie plausible Erklärung für die Dauer-Überfliegerin Merkel: „Eigentlich sage ich es ungern“, sagt er kleinlaut, „aber das Mutti-Image hilft ungemein“.
Der Politikwissenschaftler Michael Kolkmann von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ist der Überzeugung, dass die hohen Zustimmungswerte weniger mit konkreten Entscheidungen Merkels, sondern sehr viel mit ihrem Führungsstil zu tun habe. „Merkel ist im täglichen Politikprozess eine moderierende, abwartende Bundeskanzlerin, die es aber gleichwohl versteht, in den entscheidenden Situationen ihre Ansichten durchzusetzen – gerade in Zeiten großer innen- wie außenpolitischer Unwägbarkeiten“, sagte Kolkmann Handelsblatt Online.
Hinzu komme, dass sie sich gemäß dem politikwissenschaftlichen Konzept der „Kanzlerdemokratie“ wichtige Ressourcen für die Unterstützung ihre Kurses gesichert habe, etwa den Vorsitz der größeren Regierungspartei sowie ein starkes Engagement in der Außenpolitik zulasten des Auswärtigen Amtes. „Dabei ist alles kein Zufall, sondern sorgfältige geplante Strategie“, meint Kolkmann. Interessant sei sicher die Konstanz ihres Führungsstils im Übergang von einer großen zu einer kleinen Koalition. „Ist es bei zwei in etwa gleich starken Parteien in der Regierung zwingend, eher moderierend tätig zu sein, hätte man nach 2009 erwarten können, in einer kleineren Koalition eher wie Gerhard Schröder das ein oder andere Basta-Wort zu hören“, erläuterte der Experte. Doch Merkel sei ihrem Stil treu geblieben.
Merkels teure Wahlgeschenke
Mietpreisbremse
Angela Merkel fordert plötzlich eine Mietpreisbremse, die verhindern soll, dass Vermieter bei Neuvermietungen die Miete beliebig erhöhen. Die SPD fordert den radikalen Markteingriff seit Anfang des Jahres.
Mehr bezahlbarer Wohnraum
Merkel ist dafür, ehemalige Bundeswehrstandorte und Kasernen umzuwidmen. Auf diese Weise soll bezahlbarer Wohnraum entstehen.
Mehr Geld für Familien
Die Kanzlerin will den Grundfreibetrag für Kinder auf das Niveau der Erwachsenen heben und das Kindergeld erhöhen. Das monatliche Kindergeld von 184 Euro müsste dafür um 35 Euro erhöht werden. Insgesamt würde das Vorhaben Mehrausgaben in Höhe von 7,5 Milliarden Euro verursachen. Mit der Idee geht Merkel weit über den Vorschlag der SPD hinaus, die den Kinderfreibetrag absenken will.
Deutliche Rentenaufbesserung
Nach der Wahl sollen die Anerkennung der Erziehungsleistung von Müttern für vor 1992 geborene Kinder im Rentensystem beschlossen und die Berufsunfähigkeitsrente ausgebaut werden. Beide Maßnahmen würden den Haushalt sowie die Rentenversicherung nach Berechnungen des Handelsblatts je nach Modell langfristig jährlich mit bis zu 20 Milliarden Euro belasten.
Infrastruktur
Merkel sicherte zu, dass im Falle eines Wahlsiegs in der kommenden Legislaturperiode jährlich eine Milliarde Euro mehr in die Infrastruktur investiert werden soll.
Für die Beurteilung der Bürger scheint offenbar nicht einmal eine Rolle zu spielen, mit welcher Chuzpe Merkel ihre Regierungsarbeit über den Klee lobt, ohne das für den Einzelnen nachprüfbar wäre, ob das mit den schwarz-gelben Regierungserfolgen überhaupt so stimmt. Tatsächlich nimmt auch kaum jemand Merkel die Behauptung ab, dass die derzeitige Bundesregierung die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung sei. Dennoch kann sich sogar die Hälfte der Grünen-Anhänger mit dem Gedanken anfreunden, dass Merkel nach der Bundestagswahl im Herbst Kanzlerin bleibt, wie jüngst eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag von Handelsblatt Online ergab. Die Frage, ob Merkel Kanzlerin bleiben solle, bejahten 45 Prozent der befragten Grünen-Anhänger, 53 Prozent votierten dafür, dass lieber jemand anderes Kanzler werden solle.
Als weiteres Problem für SPD und Grüne entpuppt sich der Umstand, dass beide Parteien einen unglaubwürdigen Euro-Kurs fahren. Sie haben die Euro-Rettungsaktionen mitgetragen und werfen der Kanzlerin aber zugleich Versagen in der Europapolitik vor. Der Kanzlerin schadet das kaum und Steinbrück und Trittin hilft derlei Kritik nicht wirklich. Eher verbessert es die Wahlchancen der eurokritischen Alternative für Deutschland (AfD), zumal aktuell wieder über ein mögliches weiteres Griechenland-Hilfspaket gesprochen wird.
Die beiden großen Parteien hätten bisher „sorgsam vermieden, die Frage des stabilen Euro zu einem zentralen Thema ihrer Wahlkampagnen zu machen, um euroskeptische Unterströmungen im kollektiven Bewusstsein nicht zu beflügeln“, sagte Everhard Holtmann, Professor für Politikwissenschaft und Forschungsdirektor am Zentrum für Sozialforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Handelsblatt Online. Er sagte allerdings auch: „Täte man dieses jetzt doch, leitete man Wasser auf die bislang lahmenden Mühlen der AfD.“
Wer die AfD anführt
Bernd Lucke, Sprecher
Bernd Lucke ist Professor für Makroökonomie an der Universität Hamburg, 2004 war er Berater der Weltbank. Lucke sieht sich als „Christdemokrat, der von seiner Partei verlassen wurde“ und so verließ er nach 33 Jahren Mitgliedschaft die CDU, in die er mit 16 eintrat. Er fordert eine geordnete Auflösung des Euro-Zwangsverbandes. Eine Option sei die Einführung von Parallelwährungen. Dafür müsste Deutschland eine Änderung der Verträge erzwingen.
Konrad Adam, Sprecher
Der ehemalige FAZ-Redakteur vertrat schon 2003 die Meinung, dass die fehlende Einheit von Staatsvolk und Staat die EU geradewegs zur Despotie führen müsse. Denn die bürokratische Zentrale in Brüssel ziehe mehr und mehr Kompetenzen an sich, die nicht durch Volkszustimmung legitimiert seien. 2005 bezeichnet er die europäischen Politiker als „zeitgerecht regierende Tyrannen“, die sich von dem „Glauben an den Legitimationsbedarf jeglicher Herrschaft“ losgesagt hätten.
Frauke Petry, Sprecherin
Frauke Petry wurde am 1. Juni 1975 geboren. Sie ist Mitglied des Sächsischen Gleichstellungsbeirats und Landesbeauftragte für Sachsen des Vereins zur Unterstützung der Wahlalternative 2013. Außerdem ist sie Trägerin des Bundesverdienstordens.
Alexander Gauland, stellvertretender Sprecher
Gauland war bis 2011 Mitglied der CDU und in den 1980er Jahren Staatssekretär in der hessischen Staatskanzlei unter Ministerpräsident Walter Wallmann. Gauland beklagt den Verlust des Konservativen in der CDU und ist ein vehementer Gegner des „Brüsseler Großstaats“. Er war schon immer ein Euro-Skeptiker. Für ihn ist Europa ein „Kontinent der Nationen“ ohne gemeinsame europäische Kultur. Die Einführung des Euro sieht er vornehmlich
dem Interesse der anderen Staaten geschuldet, ein zu starkes Erstarken Deutschlands zu verhindern.
Der Berliner Politikwissenschaftler Nils Diederich gibt zu bedenken, dass die Oppositionsparteien eben auch den europäischen Aktionen für Griechenland zugestimmt hätten. „Wie unter diesen Umständen ein Generalangriff glaubwürdig geführt werden soll, ist mir nicht einsichtig“, sagte der Experte. „Die Forderung, alles müsse vor der Wahl gesagt werden und die Kosten der Schuldenkrise müssten benannt werden, ist kaum ein starkes Argument zur Änderung des Wahlverhaltens, hat doch die Opposition deutlich gemacht, dass sie für mehr Hilfen an Griechenland ist, ohne dass sie die Kosten beziffert hat.“
Forsa-Chef Güllner ist zudem überzeugt, dass in der Krise die Regierung als Garant der Sicherheit wahrgenommen werde und nicht die Opposition. Das spreche für Merkel. Die ganze Debatte könne SPD und Grünen sogar schaden. „Sie unterschätzen gerade mit den persönlichen Angriffen auf Merkel den unglaublichen Popularitätspanzer, den die Kanzlerin besitzt. Sie ist einfach beliebt.“
Ein Problem von Anfang an war die nicht konsistente Wahlkampagne der Sozialdemokraten. Die SPD hat aus Sicht der Parteienforschers Diederich immer noch keinen Ansatz gefunden, die Kanzlerin „ernsthaft“ in Frage zu stellen. „Ich kann auch nicht erkennen, wo ein Ansatzpunkt ist, Frau Merkel Wähler in der Mitte abspenstig zu machen: kein Thema, kein Gegenkandidat, keine Kampa, kein Wunsch nach grundlegender Veränderung.“
Wie katastrophal und fehlerbehaftet die Genossen in den Wahlkampf starteten ist selbst dem früheren SPD-Chef Franz Müntefering bitter aufgestoßen. „In dem Moment, in dem der Kandidat auftritt, muss die Kampagne stehen“, hatte Müntefering jüngst der Wochenzeitung „Die Zeit“ gesagt. Das sei bei der legendären Kampa 1998 so gewesen und bei allen anderen Wahlkämpfen auch. „Für Steinbrück gab es keine Kampagne, keine Bühne, keine Mitarbeiter, da gab es nichts“, so Müntefering.
Der prominente Politikberater Michael Spreng sieht schon einen Grundfehler der Steinbrück-Kampagne darin, dass die Sozialdemokraten ein „Negative-Campaigning gegen Merkel“ betrieben. Solche Kampagnen kämen nie gut an – außer man mache es so clever wie die SPD 1998 mit ihrem Slogan: „Danke Helmut, es reicht“, schreibt Spreng in seinem Blog.
Steinbrücks Hintermannschaft
Kleines Team von Vertrauten
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat ein kleines Team von Vertrauten um sich geschart, die ihn beraten sollen – und die Krisenmanagement betreiben müssen, wenn der Kandidat mit seinen lockeren Sprüchen für Wirbel sorgt. Zum Teil gehörten Steinbrücks Berater bereits zum engen Kreis um Altkanzler Gerhard Schröder und Ex-Parteichef Franz Müntefering.
Andrea Nahles
Nach Kompetenzgerangel übernimmt Generalsekretärin Andrea Nahles die Hauptverantwortung für die gesamte Wahlkampagne. Enge Vertraute Steinbrücks verlieren bisherige Zuständigkeiten. Steinbrücks Kampagnenleiter Heiko Geue wird von einigen im Willy-Brandt-Haus kritisch beäugt.
Rolf Kleine
Rolf Kleine ist ein alter Hase des Berliner Politikbetriebs. Der gelernte Redakteur arbeitete lange in verschiedenen Positionen für die „Bild“-Zeitung. Ende 2011 verließ er den Springer-Konzern, um als Head of Public Affairs die politische Kommunikation des Immobilienkonzerns Deutsche Annington zu verantworten. Rolf Kleine ist 52 und gilt als meinungsstark, erfahren und gut vernetzt.
Kleine arbeitete unter anderem bei den „Westfälischen Nachrichten“, der Nachrichtenagentur ddp und der „Berliner Zeitung“. Insgesamt 17 Jahre schrieb er für Springer, zuletzt mehrere Jahre vor seinem Ausscheiden als Co-Leiter des Hauptstadtbüros. „Bild“ hatte damals mitgeteilt, Kleine gehe auf eigenen Wunsch.
Kleine war regelmäßig Gast in Talkshows und Fernsehmagazinen, so auch bei N24 im „Politischen Quartett“. Titel einer Jubiläumssendung vor fast genau 10 Jahren, im April 2003: „Lust am Untergang - Stürzt die SPD ihren Kanzler?“ Die Deutsche Annington, die Kleine nun wieder verlässt, gehört nach eigenen Angaben mit rund 180 000 eigenen Wohnungen und etwa 2400 Mitarbeitern zu den führenden deutschen Wohnungsunternehmen.
Hans-Roland Fäßler
Der Medienprofi gilt als sehr gut vernetzt. Anders als Donnermeyer ist er nicht in der Parteizentrale angesiedelt, sondern soll von außen Steinbrück den Weg zu führenden Medienvertretern ebnen. Fäßler war erst für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dann für die Medienkonzerne Gruner & Jahr und Bertelsmann tätig. Zu seinen Freunden zählt der frühere Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, der inzwischen nicht mehr der SPD angehört. Fäßler soll hinter dem verunglückten Internetportal „PeerBlog" gestanden haben.
Matthias Machnig
Thüringens Wirtschaftsminister gilt als einer der wichtigsten politischen Berater Steinbrücks. Machnig leitete 1998 und 2002 erfolgreich die Wahlkämpfe Gerhard Schröders. Auch mit Müntefering arbeitete er eng zusammen, als dieser erst Generalsekretär und später dann Parteichef war. Nach 2002 war Machnig zeitweise für die Consulting-Firma BBDO tätig, die zahlreiche deutsche Konzerne berät, später für das Beratungsunternehmen Booz Allen Hamilton. Auch Machnig arbeitet als externer Ratgeber für Steinbrück, weswegen er sein Regierungsamt in Erfurt weiter ausübt.
Heiko Geue
Heiko Geue ist Steinbrücks Kampagnenleiter. Wegen dieser Funktion ließ er sich von seinem bisherigen Posten als Finanzstaatssekretär in Sachsen-Anhalt beurlauben. Ein Rückkehrrecht ist jedoch rechtlich umstritten. Auf Veranlassung von Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) verlor Geue daher seinen Job. In der Ära Schröder war Geue einer der Architekten der Agenda 2010 gewesen. Damals war er unter anderem als persönlicher Referent von Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier tätig. In der Zeit der großen Koalition koordinierte Geue den Leitungsstab des Bundesfinanzministeriums für den damaligen Ressortchef Steinbrück. Geue ist mit Steinbrücks Büroleiterin Sonja Stötzel liiert.
Timo Noetzel
Der Politikwissenschaftler gehört seit Anfang Februar zu Steinbrücks Mannschaft. Noetzel soll für den Kandidaten kampagnenfähige Themen identifizieren. Er war bisher Leiter des Politik- und Analysestabs der Münchner Sicherheitskonferenz sowie Vorstandsmitglied der Berliner Denkfabrik „Stiftung neue Verantwortung".
Torsten Schäfer-Gümbel
Steinbrück selbst nennt den hessischen SPD-Chef als Berater in Finanzmarktfragen. Der eher dem linken Parteiflügel zugerechnete „TSG" gehört aber wohl nicht zum engeren Umfeld des Kandidaten.
Jarmila Schneider
Mit ihr gehört neuerdings auch eine Frau zu Steinbrücks Beraterstab. Jarmila Schneider unterstützt seit Mitte Februar als zweite Pressesprecherin den Hauptsprecher Donnermeyer. Sie war bisher Sprecherin der bayerischen SPD.
Steinbrücks spezielle Art, sich mit Merkel auseinanderzusetzen, ist auch bei den Grünen mit Verärgerung zur Kenntnis genommen worden. Vor allem seine Aussage zum Zusammenhang zwischen der Ost-Vergangenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrer Europa-Politik stieß beim potenziellen Koalitionspartner auf harsche Kritik. „Jemand, der sich mehrfach so unqualifiziert über das Leben in Ostdeutschland geäußert hat, ist nicht geeignet als Bundeskanzler. Peer Steinbrück sollte nicht das vereinte Deutschland regieren“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete und ehemalige DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz.
Steinbrück hatte auf einer Veranstaltung in Berlin kritisiert, Merkel fehle es an Leidenschaft für Europa. Er führte dies auch darauf zurück, dass die Kanzlerin in der DDR aufgewachsen sei und die europäische Einigung für sie daher nicht von Anfang an eine so bedeutende Rolle gespielt habe.
Die Ausgangslage der Partei von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist gut: Zusammen mit der bayerischen Schwesterpartei CSU liegt sie in Umfragen seit Monaten meistens über 40 Prozent und hat damit einen weiten Vorsprung vor der SPD. Merkel hat die Partei politisch weit in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Damit sollen Wähler anderer Parteien gewonnen und eine Wechselstimmung verhindert werden. Zum Teil übernimmt die Kanzlerin auch SPD-Themen, etwa mit einem Mindestlohn light.
Erst wollte Merkel von Themenklau nichts wissen, dann räumte sie aber offen ein, sich im Fundus der SPD bedient zu haben. Vermutlich auch deshalb, weil auch Zeitungsleitartiklern diese eigentümliche Regierungsepisode aufgefallen war. „Manches ihrer Wahlkampfversprechen, wie jetzt die Mietpreisbremse, ist wirklich nur noch als dreistes Plagiat zu bezeichnen. Die SPD schimpft da zu Recht“, hieß es etwa in der „Süddeutschen Zeitung“.
Das steht im Wahlprogramm der Union
Europa
Im europapolitischen Teil lehnen CDU und CSU jede Form der Schulden-Vergemeinschaftung in der Euro-Zone ab. Eine europaweite Einlagensicherung für Bankenguthaben wird verworfen. Beide Parteien sprechen sich gegen eine Abkoppelung der Euro-Zone in der EU aus und verzichten auf frühere CSU-Forderungen nach einem Ausschluss einzelner Euro-Staaten. Die EU-Kommission soll mehr Überprüfungsrechte erhalten, dass zumindest die Euro-Staaten nicht nur ihre Ziele in der Haushaltspolitik einhalten, sondern auch künftige Verpflichtungen in der Wirtschafts-, Sozial- und Forschungspolitik.
Haushalt
Erstmals soll in der kommenden Legislaturperiode begonnen werden, den Schuldenberg des Bundes wieder abzutragen. Haushalskonsolidierung habe Vorrang.
Mütterrente
Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, sollen einen Prozentpunkt mehr bei der Berechnung der Renten erhalten, was etwa 7,5 Milliarden Euro jährlich kosten dürfte. Die Kosten soll die Rentenversicherung übernehmen. Verbessert werden sollen auch die Renten für Erwerbsgeminderte sowie für langfristig Versicherte mit niedrigen Einkommen, die privat vorgesorgt haben.
Kindergeld
Der Kinderfreibetrag soll "schrittweise" auf den von Erwachsenen angehoben werden. Entsprechend dazu soll das Kindergeld steigen.
Elterngeld
Die Vätermonate sollen nicht ausgebaut werden. Dafür soll es die Möglichkeit geben, das Elterngeld künftig als Teilelterngeld 28 Monate lang zu beziehen.
Infrastruktur
Die Verkehrsinvestitionen sollen auf 25 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren aufgestockt werden. Dies würde eine Erhöhung um fünf Milliarden Euro bedeuten.
Schule
Die Union befürwortet einen Schulpakt, mit dem der Bund Ländern und Kommunen beim Ausbau der Schulen helfen will. Die Union bekennt sich auch zu einer stärkeren Bundesförderung des Kita-Ausbaus.
Mindestlohn
Angestrebt werden flächendeckend von den Tarifpartnern ausgehandelte Mindestlöhne.
Mietpreisbremse
Vorgeschlagen wird eine Mietpreisbremse für Neuvermietungen, bei denen die Anhebung auf zehn Prozent über der ortsüblichen Miete gedeckelt werden soll. Die Länder sollen dies umsetzen können.
Pkw-Maut
Auf die Einführung einer Pkw-Maut wird ebenso verzichtet wie auf eine Privatisierung der Deutschen Bahn. Die CSU will die Pkw-Maut aber in ihrem eigenen Wahlprogramm für die Landtagswahl fordern.
Koalitionsaussage
Nicht erwähnt wird in dem Wahlprogramm, dass die Union mit Bundeskanzlerin Angela Merkel wirbt. Eine Koalitionsaussage ist in dem Papier auch nicht zu finden.
Bei den Wählern hinterlässt die schleichende Sozialdemokratisierung der Union kaum negative Spuren. Soll heißen: Der Kanzlerin werden Kurswechsel wie beim Mindestlohn verziehen, wohl auch deshalb, weil vielen Bürger bewusst sein dürfte, dass vermeintlich bürgernahe Politik am ehesten mit Merkel eine Chance auf Umsetzung hat. Dass Steinbrück Kanzler wird, ist quasi ausgeschlossen.
Die Mehrheit der Bevölkerung hält das Steuersystem für nicht gerecht, 78 Prozent gehen laut einer Allensbach-Erhebung davon aus, dass es dazu beiträgt, die Unterschiede zwischen Arm und Reich zu vergrößern. Trotzdem gibt es aus Sicht der Wahlforscher bisher keine Anzeichen dafür, dass sich die Steuerpolitik als Wahlkampfthema für die Oppositionsparteien auszahlt: Auf die Agenda der wichtigsten Themen für die nächste Legislaturperiode setze die Bevölkerung Steuerthemen ganz ans Ende, heißt es in einer Allensbach-Analyse. Hinzu komme, dass sich von den Steuerplänen der Grünen nur die wenigsten persönlich betroffen fühlen, wohingegen die CDU mit Abstand als die Partei mit dem überzeugendsten Steuerkonzept gelte.
Auch Forsa-Chef Güllner ist überzeugt, dass die Opposition mit der Steuerpolitik Wähler nicht beeindrucken wird. Die Grünen hätten neben Frieden, Umwelt und Frauen noch ein viertes Gutmenschenthema etablieren wollen: die soziale Gerechtigkeit, verknüpft mit Steuererhöhungen. „Der Versuch ist gescheitert, weil das Thema nicht zu den Grünen passt“, sagt Güllner.
So stehen die Parteien zur Steuererhöhung
Großen Widerstand gegen die Steuerpolitik von SPD, Grünen und Linken gibt es zudem in der Wirtschaft. Die Unternehmer befürchteten, dass ihre Betriebe durch die „extremen“ Steuererhöhungspläne „schwer geschädigt“ werden, sagt der Präsident des Familienunternehmer-Verbands, Lutz Goebel. „Sechs Steuern sollen auf einen Schlag erhöht werden. Darunter sind die Vermögensteuer und Vermögensabgabe die schädlichsten“, warnt Goebel. Ein oder anderthalb Prozent Belastung pro Jahr kämen zwar „mickrig“ daher, aber am Ende müssten die Betriebe eine Mehrbelastung von 20 bis 35 Prozent vom Jahresgewinn dafür bewältigen.
Goebel hält vor diesem Hintergrund und angesichts von Rekordsteuereinnahmen Steuererhöhungen für „völlig unnötig“. Die Steuererhöhungen, insbesondere die Vermögensteuer, seien in die Programme der drei Parteien aufgenommen worden, um eine „Arm-Reich-Kampagne“ loszutreten, kritisierte er. „Wir Familienunternehmer haben aber unser Vermögen in unseren Betrieben. Damit ermöglichen wir 60 Prozent der Arbeitsplätze und 80 Prozent der Ausbildungsplätze in diesem Land.“ Wer die Vermögensteuer daher fordere, habe die volkswirtschaftlichen Folgen nicht bedacht. „Ein Teil der SPD hat das inzwischen verstanden“, fügte Goebel hinzu. Dennoch eiere die Partei bei diesem Thema immer noch herum.
Ob Tempolimit auf Autobahnen oder Steuern auf Plastiktüten: SPD und Grüne werden im Wahlkampf als Spaßbremsen wahrgenommen. Zuletzt sorgten die Grünen mit ihrer Forderung nach einem fleischlosen Tag in Kantinen für Aufregung. Selbst die Linke wendete sich ab. Von einem „gruseligen Freiheitsverständnis“ sprach Linksparteigeschäftsführer Matthias Höhn. „Ich jedenfalls will nicht in einer grünen Erziehungsdiktatur leben, und ich glaube, viele Wählerinnen und Wähler auch nicht.“
Der Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs (CDU) hat gar eine Liste der absurdesten Grünen-Verbote zusammengestellt: In Baden-Württemberg gelte beispielweise das Nachtangelverbot. Die Nachtruhe für Fische hätten die Grünen zwar nicht erfunden, sie wollten sie aber beibehalten. In Sachsen-Anhalt haben die Grünen dem Licht-Smog den Kampf angesagt. Insbesondere die „exzessive Zunahme künstlichen Lichts“ ist ihnen ein Dorn im Auge, weil die Strahlung die nachtaktive Tierwelt, den Tag-Nacht-Rhythmus des Menschen sowie „die Sichtbarkeit des Sternenhimmels“ beeinträchtige. Für Fuchs ein absolutes Unding: „Die Freiheit der Menschen soll eingeschränkt werden. Das geht mir auf den Geist“, sagt er.
Das grüne Bevormundungsdenken spiegelt sich auch in der Steuerpolitik wider. Teile des grünen Steuerkonzepts zielen direkt auf den Verbraucher und damit auch auf Geringverdiener. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Schnittblumen, Skilifte, Fast Food und andere ökologisch zweifelhafte Angebote soll von derzeit 7 auf 19 Prozent steigen. Plastiktüten wollen die Grünen mit einer Umweltabgabe belegen, Dienstwagen mit einer Art Hubraumsteuer, Handys mit einem Pfand und Flugreisen mit höheren Kerosinpreisen. Auch Fleisch, Importobst und Milch sollen künstlich verteuert werden. Insgesamt geht es um mehr als sieben Milliarden Euro, die die Bürger durch den „Abbau umweltschädlicher Subventionen“ zusätzlich bezahlen sollen.
Fakten zur Bundestagswahl
Wie läuft der Wahltag ab?
Mehr als 80.000 Wahllokale gibt es in den insgesamt 299 Wahlkreisen. Damit dort von 8 bis 18 Uhr gewählt werden kann, sind über 600.000 ehrenamtliche Wahlhelfer im Einsatz - dafür steht ihnen nicht mehr als ein Erfrischungsgeld von 21 Euro zu. Pünktlich um 18 Uhr schließen die Wahllokale, dann beginnt die Auszählung. Erste Hochrechnungen gibt es meist schon wenige Stunden später.
Wer organisiert die Wahl?
Oberster Organisator ist der Bundeswahlleiter. Der wird auf unbestimmte Zeit vom Innenminister ernannt. Traditionell wird regelmäßig der Präsident des statistischen Bundesamtes mit dieser Aufgabe betraut - seit 2008 ist deshalb Roderich Egeler Bundeswahlleiter. Er organisiert nicht nur die Bundeswahlen, sondern überprüft auch die antretenden Parteien und unterstützt die 16 Landeswahlleiter bei der Durchführung der Wahlen auf Landesebene. Auch jeder Wahlkreis hat seine eigene Wahlkreisleitung.
Wer sind die Wähler?
Wählen darf jeder, der die deutsche Staatsbürgerschaft hat und über 18 Jahre alt ist. Bei der Bundestagswahl am 22. September werden das 61,8 Millionen Menschen sein. Nur 3,6 Prozent der Wahlberechtigten sind zwischen 18 und 20 Jahren alt, aber über 20 Prozent der Wahlberechtigten sind 70 Jahre und älter. 51,5 Prozent der Wahlberechtigten sind Frauen.
Wann kommt eine Partei in den Bundestag?
Damit eine Partei bei den Wahlen antreten kann, muss sie vom Bundeswahlausschuss anerkannt werden. Unterschieden wird hier zwischen den „etablierten" Parteien, die seit der letzten Wahl mit mindestens fünf Abgeordneten im Bundestag oder in einem Landtag vertreten sein müssen, und den nicht etablierten Parteien. Nicht etablierte Parteien müssen neben ihren Unterlagen auch Unterschriftensammlungen vorlegen, um zur Wahl antreten zu können.
Um in den Bundestag zu kommen, muss eine Partei mindestens fünf Prozent aller abgegebenen Stimmen erhalten - oder aber drei Direktmandate in den Wahlkreisen holen.
Für die FDP sind solche Gedankenspiele eine Steilvorlage. Für FDP-Generalsekretär Patrick Döring ist die Bundestagswahl daher auch eine „Abstimmung über die Freiheit des Einzelnen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen oder mehr staatliche Fürsorge durch mehr staatliche Regelungen und Steuern anzustreben“. Die Liberalen glaubten weiter fest an die Kraft, die Kreativität und das Verantwortungsbewusstsein freier Bürger. „Diese müssen sich gegen Rot-Grün auflehnen“, so Döring.
Der Vize-Vorsitzende der Unions-Fraktion im Bundestag, Michael Meister (CDU), sieht ähnlich wie Döring die Freiheit der Bürger bedroht, sollten SPD und Grüne im Herbst die Bundestagswahl für sich entscheiden. „Unsere Bürger benötigen keine besserwisserische Bevormundung“, betont Meister. „Unsere Bürger benötigen nicht die Heilsversprechungen von Rot-Grün nach Schutz, sie benötigen den Schutz vor rot-grüner besserwisserischer Bevormundung.“