Pandemiepolitik Merkels Wunsch bleibt unerfüllt: Länder beharren bei Corona-Maßnahmen auf Sonderwegen
Die Kanzlerin wollte die Pandemiebekämpfung vereinheitlichen. Doch mehrere Regierungschefs machen nicht mit. Auch eine Höchstteilnehmerzahl bei privaten Feiern scheitert.
27.08.2020| Update: 27.08.2020 - 16:26 Uhr | von Gregor Waschinski
Bund und Länder beschließen neue Corona-Maßnahmen
Berlin Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte die Länder wieder auf einen einheitlichen Kurs bei den Maßnahmen gegen das Coronavirus einschwören. Bei der Videoschalte einigte sie sich mit den Ministerpräsidenten auf eine Reihe von Beschlüssen: Großveranstaltungen sollen bis Jahresende verboten und Mindestbußgelder bei Verstößen gegen die Maskenpflicht verhängt werden. Auch die Teststrategie wird überarbeitet.
Die große Einigkeit bei den Maßnahmen gelang aber nicht, mehrere Länderchefs beharrten auf Sonderwegen.
Nach sechsstündigen Beratungen verwies Merkel auf den jüngsten Anstieg der vom Robert Koch-Institut (RKI) gemeldeten Infektionszahlen. „Wir nehmen diesen Anstieg in den Sommermonaten sehr ernst“, sagte sie. Daher müsse die Politik nun einen „neuen Anlauf“ nehmen, die Pandemie zu kontrollieren.
Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder sprach im Anschluss von „sehr intensiven Diskussionen“, bei denen einige Unterschiede zwischen den Ländern sichtbar geworden seien. Dennoch habe man sich auf einen „gemeinsamen Pfad“ verständigt. Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) begrüßte, „dass wir nach vielen Wochen über die Sommerzeit wieder eine einheitliche Sicht auf die Corona-Lage hergestellt haben.“
Die Bund-Länder-Konferenzen waren im Frühjahr der Taktgeber für die Pandemiepolitik in Deutschland. Dann preschten die Länder auf eigene Faust mit Lockerungen vor. Die Runden mit der Kanzlerin verloren zunehmend an Bedeutung, zuletzt fanden die Beratungen im Juni statt.
„Jetzt gilt es, eine erneute exponentielle Verbreitung durch gegenseitige Rücksichtnahme, Umsicht und Vorsicht zu verhindern, um zur Pandemiebekämpfung erforderliche Einschränkungen auf Dauer möglichst gering halten zu können“, heißt es in dem Beschlusspapier. Bund und Länder seien sich einig, dass „weitere Öffnungsschritte vorerst nicht zu rechtfertigen“ seien.
Verbot von Großveranstaltungen
Das bisher auf Ende Oktober begrenzte Verbot von Großveranstaltungen wie Volksfesten, Konzerten oder Festivals wird bis mindestens 31. Dezember 2020 verlängert. Zum einheitlichen Umgang mit Zuschauern bei bundesweiten Sportveranstaltungen soll eine Arbeitsgruppe bis Ende Oktober Vorschläge machen.
Das bedeutet: Die Fußball-Bundesliga startet zunächst vor leeren Rängen. Die Frage, ob Karnevalsveranstaltungen und Weihnachtsmärkte in der Pandemie ausfallen müssen, wurde am Donnerstag nicht abschließend geklärt.
Für Feste und Familienfeiern wollte Merkel eigentlich die Vorgabe durchsetzen, den Teilnehmerkreis einer Zusammenkunft in privat genutzten Räumen und auf privat genutzten Grundstücken auf maximal 25 Personen zu beschränken.
Bei privaten Veranstaltungen und Feiern außerhalb des Privatbereichs sollten 50 Teilnehmer erlaubt sein. Mehrere Landeschefs sperrten sich in diesem Punkt aber und verwiesen auf das regional unterschiedliche Infektionsgeschehen. Am Ende konnte sich die Runde nicht auf bundesweit geltende Obergrenzen für Teilnehmerzahlen einigen. Die Frage, welche Vorschriften wo in Deutschland gelten, war bereits im Frühjahr der große Streitpunkt in der Corona-Koordinierung.
Bund und Länder mahnen: Die Hygienemaßnahmen müssten „konsequent“ eingehalten werden. Dazu gehöre auch die Maskenpflicht an bestimmten öffentlichen Orten. Bei Verstößen, etwa im Personennahverkehr, soll bundesweit ein Bußgeld von mindestens 50 Euro verhängt werden.
Bislang werden Verstöße sehr unterschiedlich geahndet: In einigen Ländern wie Bayern gelten hohe Bußgelder, in anderen Ländern gar keine – etwa in Brandenburg, Sachsen oder Sachsen-Anhalt. Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) lehnt das Mindestbußgeld weiter ab. In der Diskussion mit Merkel und seinen Kollegen sagte er, dass sich die Menschen in seinem Land an die Corona-Regeln halten würden.
Zeitnah sollen in Sachsen-Anhalt auch wieder Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern erlaubt sein. Entscheidend sei, dass es ein gutes Hygienekonzept gebe, das von den zuständigen Gesundheitsämtern genehmigt sei, sagte Haseloff. Das Land will einen Einstieg mit der nächsten Corona-Verordnung ermöglichen, die ab Mitte September gelten wird. Messen könnten stattfinden, Weihnachts- und Adventsmärkte geplant werden, zählte Haseloff auf.
Weniger Coronatests bei Reisenden
Die Testkapazitäten in Deutschland stoßen zunehmend an Grenzen. Bund und Länder verständigten sich darauf, dass die freiwilligen kostenlosen Corona-Tests für Rückreisende aus Nicht-Risikogebieten „am Ende der Sommerferien aller Bundesländer mit dem 15. September 2020“ enden sollen. Bei Reiserückkehrern aus Risikogebieten soll ab dem 1. Oktober wieder stärker auf die ohnehin schon geltende Quarantänepflicht gesetzt werden.
„Möglichst“ ab dem 1. Oktober soll man eine Corona-Quarantäne frühestens durch einen Test ab dem fünften Tag nach Rückkehr beenden können. Außerdem riefen Bund und Länder die Bürger auf, wo immer möglich auf Reisen in ausgewiesene Risikogebiete zu verzichten. Wer eine vermeidbare Reise in ein Risikogebiet antritt, soll den Anspruch verlieren, dass der Staat für die Zeit der Quarantäne einen Verdienstausfall zahlt.
Die Quarantänepflicht bei der Einreise aus Risikogebieten soll auch besser durchgesetzt werden. Die Länder sollen „die Kontrolldichte der Überwachung“ erhöhen. Merkel sprach davon, dass bei Verstößen „empfindliche Bußgelder“ verhängt werden könnten. Geplant ist zudem eine „elektronische Einreiseanmeldung, die den Meldeprozess bis hin zu den örtlichen Gesundheitsämtern digitalisieren wird“.
Gesundheitsämter und Schulen
Bund und Länder bekennen sich in dem Papier auch zu einem „massiven Ausbau“ des öffentlichen Gesundheitsdienstes. In den kommenden Tagen will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seine Pläne zur Stärkung der rund 400 Gesundheitsämter vorlegen, die eine wichtige Rolle bei der Nachverfolgung der Kontakte von Infizierten spielen. Den Auftakt für den „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ soll eine Konferenz mit Merkel sowie Vertretern von Ländern und Kommunen am 8. September markieren. Der Bund will vier Milliarden Euro investieren, etwa in mehr Personal und eine bessere technische Ausstattung der Gesundheitsämter.
Merkel und die Länderchefs machten ferner deutlich, dass der Präsenzunterricht an den Schulen so weit wie möglich stattfinden soll. Allerdings gab es keine Verständigung auf eine bundesweite Linie bei der Maskenpflicht für Schüler und Lehrer. Nordrhein-Westfalen wird sie Ende August auslaufen lassen. „Die Pflicht, auch im Unterricht Masken zu tragen, endet“, sagte Ministerpräsident Armin Laschet am Donnerstagabend.
Die Hygienevorschriften im Schulbetrieb sollen den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin zufolge aber so weit wie möglich nach einheitlichen Maßstäben erfolgen. Das sei „für die breite Akzeptanz der Hygienevorschriften im Schulbetrieb“ wesentlich.
Für den Fall, dass einige Schulen wegen Infektionsherden wieder schließen müssen, sollen die „digitalen Lehr-, Lern- und Kommunikationsmöglichkeiten für Schulen, Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer“ ausgebaut werden.
Seit Wochen steigt die Zahl der innerhalb eines Tages registrierten Corona-Infektionen in Deutschland wieder und lag zwischenzeitlich über der Marke von 2000, der höchste Wert seit April. Das RKI führt die Entwicklung unter anderem auf Ansteckungen bei Privat- und Familienfeiern sowie auf Reiserückkehrer zurück.
Allerdings dürfte zumindest ein Teil des Anstiegs auch damit zu tun haben, dass inzwischen deutlich mehr getestet wird als noch im Frühjahr. Dadurch werden viele asymptomatische Fälle entdeckt, die früher in der hohen Dunkelziffer verborgen blieben.
In der vergangenen Woche analysierten die Labors nach Angaben des RKI knapp 990.000 Proben – mehr als doppelt so viele wie im April. Der Anteil der positiven Fälle an den Tests liegt bei 0,88 Prozent und damit etwa fünfmal niedriger als im April.
Auch der Anteil von ins Krankenhaus eingelieferten Infizierten ist seit Wochen rückläufig. Das dürfte damit zusammenhängen, dass immer mehr jüngere Menschen positiv auf das Virus getestet werden. Bei ihnen besteht ein deutlich geringeres Risiko für einen schweren Verlauf als bei Senioren. Der Mittelwert des Alters der bestätigten Infizierten liegt derzeit bei 32 Jahren. Im April waren die Infizierten im Schnitt noch 50 Jahre alt.
Das RKI warnt aber: „Sobald sich wieder vermehrt ältere Menschen infizieren, muss auch mit einem Anstieg der Hospitalisierungen und Todesfälle gerechnet werden.“ Dies könne nur verhindert werden, „wenn sich die gesamte Bevölkerung weiterhin im Sinne des Infektionsschutzes engagiert“.