Klimaneutralität Schattenseite des Hoffnungsträgers: Produktion von Wasserstoff könnte Ressourcen gefährden
Weltweit sind gigantische Produktionskapazitäten für Wasserstoff in Planung, insbesondere in wasserarmen Regionen. Umweltschützer warnen vor Eingriffen in den Wasserhaushalt.
05.04.2021 | von Klaus Stratmann
Wüste in Saudia-Arabien © AFP
Berlin Umweltschützer betrachten die ehrgeizigen Pläne zum Aufbau von Produktionskapazitäten für grünen, also mit Ökostrom hergestellten Wasserstoff mit Sorge. „Der enorme Wasserbedarf der Wasserstoffelektrolyse spielt im öffentlichen Diskurs bislang keine Rolle“, sagt Johannes Rußmann vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu).
Gerade in wasserarmen Regionen, also etwa in Südeuropa, aber auch in Nordafrika oder auf der arabischen Halbinsel, stelle die Wasserstoffelektrolyse in industriellem Maßstab einen massiven Eingriff in den Wasserhaushalt dar. „Die Probleme, die sich daraus ergeben, werden bislang systematisch ausgeblendet“, warnt Rußmann.
Der Ressourcenverbrauch der Wasserstoffelektrolyse sei erheblich, sagt er. In wasserarmen und küstennahen Regionen biete sich zwar der Einsatz von Entsalzungsanlagen an, da die Elektrolyse mit Süßwasser betrieben werden muss.
Das drücke aber erheblich auf die Effizienz des gesamten Verfahrens und treibe die Kosten. „Wenn man dann noch den Transport von Wasserstoff oder seiner Derivate aus entfernten Weltregionen nach Europa betrachtet, wachsen die Zweifel an der Nachhaltigkeit des gesamten Prozesses“, sagt Rußmann.
Ingrid Nestle, Sprecherin für Energiewirtschaft der Grünen-Bundestagsfraktion, teilt die Bedenken. Die Produktion von Wasserstoff könne nur erfolgreich sein, wenn lokale Gegebenheiten mit einbezogen würden, sagte sie dem Handelsblatt. Das gelte auch mit Blick auf die lokale Wasserversorgung.
Wasserstoff sei eine große Chance für viele Länder, sagte sie. Die Wasserstoffelektrolyse dürfe jedoch nicht auf Kosten der Versorgungssicherheit der Bevölkerung vor Ort gehen. „Ganz im Gegenteil: Wir wollen, dass die Verfügbarkeit von Trinkwasser durch die Projekte möglichst verbessert wird“, sagte Nestle.
Nestle teilt die Vorbehalte Rußmanns mit Blick auf die Meerwasserentsalzung nicht. Die Entsalzung könne „relativ leicht“ in die Projekte integriert werden. „Diese Anlagen könnten zusätzlich Wasser für den lokalen Bedarf produzieren. Es kommt auf die gute Umsetzung der Projekte mit Blick für die Bedürfnisse vor Ort an“, sagt die Grünen-Politikerin.
Auch Fachleute halten die Meerwasserentsalzung für den Schlüssel zur Lösung des Problems. „In Regionen, in denen nicht ausreichend Süßwasser vorhanden ist oder eine Beeinträchtigung des Wasserhaushalts zu befürchten ist, bietet sich die Meerwasserentsalzung an. Die Kosten der Entsalzung sind sehr überschaubar.
Bei den entsprechenden Vorhaben sind diese Kosten längst eingepreist“, sagte Bernd Heid, Wasserstoff-Experte bei McKinsey, dem Handelsblatt. „Die Verfügbarkeit von Wasser stellt nach unserer Überzeugung keinen begrenzenden Faktor für die Wasserstoffelektrolyse dar. Das wird nicht zur Bremse für die weltweite Entwicklung“, sagte er.
Standards können Wasserverbrauch begrenzen
Auch Andreas Wagner, Wasserstoff-Experte der Energy Transitions Commission, ist optimistisch. „Wir gehen davon aus, dass die Meerwasserentsalzung je Kilogramm Wasserstoff mit zwei US-Cent zu Buche schlägt. Bei einem Preis von 1,50 bis zwei Dollar je Kilogramm für grünen Wasserstoff ist das keine relevante Größenordnung“, sagt Wagner.
Bei einem weltweiten Wasserstoffbedarf von 800 Millionen Tonnen im Jahr 2050 würde der Wasserbedarf für die Elektrolyse nach Angaben Wagners elf Milliarden Tonnen pro Jahr betragen. Das entspreche 0,7 Prozent des globalen Süßwasserbedarfs der Industrie, der Landwirtschaft und der privaten Haushalte. Allein für die Öl- und Gasförderung würden derzeit 18 Milliarden Tonnen Wasser gebraucht.
Nach Überzeugung von Kilian Crone von der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) könnten Standards helfen, den Wasserverbrauch nicht unnötig in die Höhe zu treiben. „Im Moment gibt es noch keine Regulierung, die den Wassereinsatz der Wasserstoffelektrolyse begrenzt. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass beispielsweise auf europäischer Ebene ein Höchstverbrauch je produzierter Einheit Wasserstoff definiert wird“, sagte Crone.
Auch für Gebiete mit sinkendem Wasserspiegel seien Begrenzungen denkbar, ergänzte er. Die EU-Kommission arbeitet derzeit an entsprechenden Regulierungsvorschlägen, die noch in diesem Jahr vorgestellt werden sollen.