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Energiekosten
Lindner geht beim Strompreis auf Industrie zu – und auf Habeck

Der Finanzminister ist bereit, eine wichtige Steuerermäßigung für energieintensive Betriebe zu verlängern – wenn die Gegenfinanzierung gesichert ist. Zustimmung kommt aus dem Wirtschaftsministerium.

11.09.2023| Update: 11.09.2023 - 10:56 Uhr | von Dietmar Neuerer und Julian Olk

Christian Lindner © dpa

Berlin Das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) unterstützt eine Verlängerung des Spitzenausgleichs für die energieintensive Industrie. Ursprünglich hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) vorgesehen, Ende 2023 die Option für Unternehmen des produzierenden Gewerbes auslaufen zu lassen, sich ihre Stromsteuer auf Antrag erstatten zu lassen.

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„Der Spitzenausgleich war im Haushalt zu unserem großen Bedauern nicht enthalten“, sagte eine Sprecherin aus Habecks Ministerium dem Handelsblatt.

Lindner hatte am Wochenende vorgeschlagen, den Ausgleich doch zu verlängern. Das befürwortet das Wirtschaftsministerium laut Sprecherin: „Wenn das Bundesfinanzministerium jetzt Spielräume sieht, begrüßen wir das ausdrücklich, weil der Spitzenausgleich eine wichtige Entlastung für die Industrie in schwierigen Zeiten enthält.“

Lindner knüpfte sein Entgegenkommen beim Spitzenausgleich aber an eine Bedingung. Der Bundestag könne beraten, den Spitzenausgleich „ein weiteres Jahr zu verlängern, wenn man woanders Mittel zur Gegenfinanzierung findet“, hatte der FDP-Politiker der „Welt am Sonntag“ gesagt.

Von dem Spitzenausgleich profitieren derzeit 9000 Unternehmen aus energieintensiven Branchen. Sie bekommen bis zu 90 Prozent der Energie- und Stromsteuer zurück. Im Haushaltsentwurf für 2024, den das Bundeskabinett Anfang Juli beschlossen hat, ist der Posten in Höhe von 1,7 Milliarden Euro nicht mehr enthalten.

Eine Beibehaltung der Subvention käme der Wirtschaft sehr entgegen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hatte jüngst mit Blick auf eine mögliche Abschaffung des Spitzenausgleichs vor einer Verzehnfachung der Stromsteuerlast für die betroffenen Betriebe gewarnt.

Zusätzlich oder anstatt eines Industriestrompreises?

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Trotz der Einigkeit zwischen Lindner und Habeck dürfte die Verlängerung des Spitzenausgleichs aber längst nicht ausgemachte Sache sein. Vielmehr versteht Lindner seinen Vorschlag als Alternative zu Habecks Plan für einen „Brückenstrompreis“.

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Habeck hatte vorgeschlagen, energieintensiven Industriebetrieben für drei bis sieben Jahre einen Strompreis von sechs Cent je Kilowattstunde für 80 Prozent ihres historischen Verbrauchs staatlich zu garantieren. Das wollen parteiübergreifend auch alle Bundesländer, ebenso die SPD-Fraktion sowie Gewerkschaften und viele Wirtschaftsverbände. Habeck hält einen solchen Industriestrompreis – unabhängig von zusätzlichen Maßnahmen – für notwendig. Die Entlastungswirkung wäre deutlich höher als bei einer Verlängerung des Spitzenausgleichs.

Allerdings sieht der Vizekanzler vor, Unternehmen den Industriestrompreis nur zu gewähren, wenn sie gleichzeitig Maßnahmen für mehr Klimaschutz in ihrer Produktion umsetzen. Solche Regeln gibt es beim Spitzenausgleich nicht.

Lindner aber hat sich erneut gegen einen Industriestrompreis positioniert. „Ich bin nicht davon überzeugt, für einige wenige Konzerne den Strompreis auf Kosten von allen Steuerzahlern zu subventionieren“, sagte der Minister.

„Eine Lösung, die Schulden auf die Gemeinheit abwälzt und den Wettbewerb zulasten des Mittelstands verzerrt, ist keine.“ Bestimmte Verbraucher könnten dann weiter günstig Energie nutzen und würden damit das knappe Angebot für andere potenziell verteuern, gab Lindner zu bedenken. Der FDP-Chef hatte zuvor eine allgemeine Reduzierung der Stromsteuer auf das europäische Minimum vorgeschlagen.

Skepsis aus den Fraktionen

Ein möglicher Kompromiss könnte sowohl Stromsteuer, Industriestrompreis als auch Spitzenausgleich enthalten. Allerdings müssten die Regierenden sich nicht nur einigen, sondern ständen auch vor der Hürde, die Fraktionen zu überzeugen. In den linken Flügeln von SPD und Grünen ist man über die angedachte Verlängerung des Spitzenausgleichs nicht begeistert.

Nach Überzeugung von SPD-Wirtschaftspolitiker Sebastian Roloff kann ein Industriestrompreis dabei helfen, „dass energieintensive Industrien, die in der Wertschöpfungskette von unschätzbarer Relevanz sind, nicht zumachen müssen und damit den gesamten Industriestandort gefährden würden“. Das könne der Spitzenausgleich nicht leisten, der an ganz anderer Stelle greife.

Ähnlich sieht es der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch. „Der Brückenstrompreis ist zielgenau und sorgt dafür, dass Energieeffizienz und der Ausbau erneuerbarer Energien weiter vorangetrieben werden“, sagte Audretsch dem Handelsblatt. Maßnahmen, die die Stromsteuer betreffen, hält Audretsch dagegen nicht nur für sehr teuer. Die Maßnahme habe auch „keinen Anreiz zum Umstieg auf Erneuerbare“.

Christian Lindner (l.), Robert Habeck © IMAGO/Achille Abboud

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hält hingegen die allgemeine Reduzierung der Stromsteuer für am wichtigsten. „Das würde alle entlasten und Elektrifizierung als einen ganz wesentlichen Baustein der Energiewende attraktiver machen“, sagte die Ökonomin. „Diesen Weg sollte die Bundesregierung gehen.“ 

Der Spitzenausgleich bei der Stromsteuer für energieintensive Unternehmen könne im Anschluss verlängert werden. „Auch bei weiteren Abgaben und Umlagen kann man etwas tun“, fügte die Ökonomin hinzu. „Es macht in einer Energiekrise keinen Sinn, dass der Staat den Strompreis durch hohe staatlich induzierte Komponenten zusätzlich hoch hält.“

Schon jetzt haben Abgaben und Umlagen die Stromkosten zwischen Januar und Juli dieses Jahres um 2,86 Cent je Kilowattstunde erhöht. Das sind elf Prozent des gesamten Strompreises, wie eine Analyse des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zeigt. Einen Industriestrompreis hingegen lehnt Grimm weiter ab.

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