Brandenburgs Ministerpräsident im Interview Dietmar Woidke: „Wir steuern auf eine schwere Wirtschaftskrise zu“
Brandenburgs Ministerpräsident warnt vor den Folgen steigender Preise für Unternehmen und Bürger – und fordert umfangreiche Entlastungen.
02.07.2022 | von Silke Kersting und Dietmar Neuerer
Dietmar Woidke © dpa
Berlin Kurz vor dem Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften zur ersten Runde einer sogenannten Konzertierten Aktion hat sich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) pessimistisch zur wirtschaftlichen Zukunft Deutschlands geäußert. „Wir müssen uns ehrlich machen und die Situation so beschreiben, wie sie ist“, sagte Woidke dem Handelsblatt. „Wir steuern auf eine schwere Wirtschaftskrise zu.“
Woidke rechnet damit, dass sich die Energiekrise in den nächsten Monaten weiter verschärfen werde. Die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft würden „deutlich drastischer sein“ als das, was momentan diskutiert werde. „Diese Krise wird ein Stresstest für Deutschland.“ Woidke hält daher ein weiteres Entlastungspaket für unabdingbar.
Von dem Treffen zwischen Kanzler und Sozialpartner am Montag erhofft er sich „Vereinbarungen, die der deutschen Wirtschaft helfen, speziell den energieintensiven Unternehmen, die unter den Energiepreisen besonders leiden“.
Eine steuerfreie Einmalzahlung der Arbeitgeber zur Entlastung der Bürger sieht Woidke kritisch. „Einmalzahlungen wie der Inflationsbonus haben einen großen Reiz, wenn man absehen kann, dass die Krise bald zu Ende sein wird“, sagte er. „Wir werden uns aber darauf einstellen müssen, dass wir auf absehbare Zeit nicht zu den Energiepreisen zurückkommen werden, die wir bis zur russischen Invasion gewohnt waren.“
Woidke schlug vor, Menschen zu unterstützen, die täglich zur Arbeit fahren müssen und dabei keine Alternative zum Auto hätten. „Wir sollten die Pendlerpauschale unbedingt erhöhen“, sagte er. „Das Instrument hat sich bewährt.“
Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Herr Woidke, Kanzler Olaf Scholz hat Arbeitgeber und Gewerkschaften für Montag ins Kanzleramt eingeladen, um über den Umgang mit der Inflation zu reden. Was soll das Treffen bringen?
Es muss ein weiteres Entlastungspaket geben. Wir brauchen Vereinbarungen, die der deutschen Wirtschaft helfen, speziell den energieintensiven Unternehmen, die unter den Energiepreisen besonders leiden. Aber auch viele Mittelständler treffen die Verteuerungen hart. Und natürlich brauchen auch die Bürgerinnen und Bürger Unterstützung.
Wie heikel ist die Lage?
Unser Problem ist, dass alle Energiepreise weiter steigen. Bei den Gaspreisen ergibt sich das durch die Verknappung, die Russland jetzt offensichtlich aus politischen Gründen vorgenommen hat. Mit dem Ölembargo werden wir eine weitere Steigerung der Treibstoffpreise erleben, wahrscheinlich in Höhen, die wir vorher noch nie hatten. Deswegen sind Hilfen unabdingbar.
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Von welchen Entlastungen könnten Unternehmen profitieren?
Die Bundesregierung muss Unternehmen, bei denen die Energiekosten einen großen Anteil der Gesamtkosten ausmachen, unterstützen und zusätzliche Gelder bereitstellen.
Vita Dietmar Woidke
Agraringenieur
Dietmar Woidke wurde 1961 im brandenburgischen Naundorf bei Forst an der deutsch-polnischen Grenze geboren. Der Diplom-Agraringenieur trat 1993 in die SPD ein, seit 1994 sitzt er im Brandenburger Landtag, war Umwelt- und Innenminister.
Der Ministerpräsident
Seit August 2013 ist Woidke Ministerpräsident des Landes Brandenburg, derzeit in einer Koalition mit CDU und Grünen.
Nach welchen Kriterien?
Vorstellbar wären beispielsweise Entlastungen, wenn das Verhältnis von Energiekosten zum Umsatz eine bestimmte Schwelle übersteigt.
Und was ist mit den Bürgern?
Der Fokus auf Menschen mit geringen Einkommen reicht nicht aus. Schon heute sind viele Normalverdiener, beispielsweise die Pendler, massiv von den Preissteigerungen betroffen. Es kann nicht sein, dass sich der Weg zur Arbeit nicht mehr lohnt. Es wird also weitere Entlastungen für Menschen mit mittleren Einkommen geben müssen. Es ist absehbar, dass teilweise ein komplettes Nettogehalt für Nachzahlungen bei den Betriebskosten aufgebraucht werden wird. Das kann zu sozialen Verwerfungen führen.
Einmalzahlung durch Arbeitgeber
Der Kanzler plant als Inflationsausgleich die Möglichkeit einer steuerfreien Einmalzahlung durch die Arbeitgeber. Was halten Sie davon?
Einmalzahlungen wie der Inflationsbonus haben einen großen Reiz, wenn man absehen kann, dass die Krise bald zu Ende sein wird. Wir werden uns aber darauf einstellen müssen, dass wir auf absehbare Zeit nicht zu den Energiepreisen zurückkommen werden, die wir bis zur russischen Invasion gewohnt waren.
Wäre dann eine dauerhafte Unterstützung besser?
Wichtig ist mir, dass wir Menschen nicht vergessen, die wie beispielsweise bei uns in Brandenburg, Tag für Tag pendeln und teilweise mehr als 50 Kilometer zur Arbeit fahren müssen und dabei eben keine Alternative zum Auto haben. Denen hilft eine Einmalzahlung kaum.
Sie würden also gerne die Pendlerpauschale erhöhen?
Ja. Wir sollten die Pendlerpauschale unbedingt erhöhen. Das Instrument hat sich bewährt.
Entlastungen für die Wirtschaft und die Bürger bedeuten zugleich Belastungen für den Staat. Die Schuldenbremse kann der Bundesfinanzminister doch auf absehbare Zeit vergessen, oder?
Christian Lindner verteidigt die Schuldenbremse tapfer. Ich halte es aber aus heutiger Sicht für unrealistisch, dass wir sie die nächsten Jahre einhalten werden können. Wir müssen uns ehrlich machen und die Situation so beschreiben, wie sie ist.
Was meinen Sie?
Wir steuern auf eine schwere Wirtschaftskrise zu. Wir brauchen ein gemeinsames Handeln der Bundesregierung und der Länder, um gut durch diese Krise zu kommen.
Sie scheinen hier großen Nachholbedarf zu sehen.
Ich halte das, was an Kriegsfolgen momentan diskutiert wird, für eine Verniedlichung dessen, was auf uns zukommt. Die Energiekrise wird sich in den nächsten Monaten verschärfen. Die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft werden deutlich drastischer sein als das, was momentan diskutiert wird. Diese Krise wird ein Stresstest für Deutschland.
„Ölversorgung muss gesichert werden“
Es vergeht ja kaum ein Tag, an dem nicht zum Energiesparen aufgerufen wird. Zeigt das die Hilflosigkeit der Politik, wenn jetzt die Bürger zu Hilfe gerufen werden?
Energiesparen ist immer gut: fürs Klima und fürs Portemonnaie. Wer aber bei den aktuellen Energiepreisen denkt, die Menschen gehen unüberlegt mit ihrem Energieverbrauch um, der lebt in einer anderen Welt und weiß nicht, was die Menschen im Land umtreibt. Ich halte Slogans wie „Frieren für den Frieden“ für schwer gewöhnungsbedürftig. Menschen, die so etwas sagen, haben mit den Energiepreisen oft deutlich weniger Probleme als die Mehrheit der Bürger in Deutschland.
Erwarten Sie, dass Russlands Präsident Wladimir Putin seine Gaslieferungen komplett einstellt?
Ich habe seit dem 24. Februar aufgehört, an irgendeine Logik bei Entscheidungen der russischen Führung zu glauben. Was momentan passiert, wird dauerhafte Schäden hinterlassen, nicht nur in den Beziehungen, sondern auch was die Vertrauenswürdigkeit Russlands betrifft. Und Vertrauen ist nun mal die Grundlage aller Verträge.
Was passiert mit der Ölraffinerie in Schwedt, wenn kein Öl mehr kommt?
Die Ölversorgung muss gesichert werden. Ohne die PCK-Raffinerie wird es kurz-, aber auch mittelfristig keine sichere Energieversorgung in großen Teilen Ostdeutschlands geben. PCK in Schwedt ist der Motor, der unser Land antreibt. Deswegen muss auch die Produktion für die nächsten Jahre gesichert sein. Dafür wollen wir eine Garantie.
Eine Beschäftigungsgarantie?
Nein, eine Bestandsgarantie.
Raffinerie in Schwedt © dpa
Der russische Konzern Rosneft ist immer noch Mehrheitseigner von PCK. Das kann auf Dauer doch nicht so bleiben?
Das ist das zentrale Problem. Für eine gute Zukunft des Standortes Schwedt braucht es einen Eigentümerwechsel. Darauf haben wir die Bundesregierung immer wieder hingewiesen.
Im Zweifel eine Enteignung?
Ich bin Erfahrungsjurist. Ich werde mich nicht in die juristischen Feinheiten hineinbegeben. Aber klar ist, es muss schnell eine Lösung geben.
Kampf gegen Klimawandel nicht vergessen
Brandenburg ist aufgrund des fortschreitenden Klimawandels von starker Trockenheit geprägt und von Waldbränden gebeutelt. Ist da der Plan, Braunkohlewerke länger zu betreiben, nicht eine schlechte Idee?
Wir dürfen nicht nachlassen beim Kampf gegen den Klimawandel. Trotzdem müssen wir die Energieversorgung sichern und brauchen eine ideologiefreie Diskussion über die Möglichkeiten, die wir in Deutschland haben, uns selber mit Energie zu versorgen. Es geht zudem ja nicht um einen dauerhaften Betrieb. Aber es kann sein, dass uns auch die Kohlekraftwerke in der Lausitz helfen können, im kommenden Winter Gas zu sparen.
Bleibt es beim Kohleausstieg bis spätestens 2038?
Wenn wir beim Ausbau der Erneuerbaren schneller vorankommen als bisher, halte ich es für möglich, dass wir vor 2038 aussteigen können.
Sollten die drei verbliebenen Atomkraftwerke über 2022 hinaus betrieben werden?
Die drei Atomkraftwerke haben doch vor allen Dingen ein Problem: Niemand will den Atommüll, die Endlagerfrage ist weiterhin nicht geklärt. Und ich staune ein bisschen, dass gerade diejenigen am lautesten nach der Kernkraft rufen, die keinen Atommüll in ihrem Bundesland lagern wollen.
Atomkraftwerk Isar 2 © dpa
Sie meinen Bayern.
Das ist ja offensichtlich.
Vielen Dank für das Interview, Herr Woidke.