Kommentar Wissing feiert zehn Millionen Deutschlandtickets – doch auf den zweiten Blick ist das ein Flop
Millionen Deutsche fahren nun billiger Bus und Bahn. Das hilft aber weder dem Klima noch den Verkehrsbetrieben. Die wahre Erfolgskennzahl ist deutlich kleiner – immerhin ein Trost bleibt.
01.06.2023 | von Daniel Delhaes
Deutschlandticket startet mit 700.000 Neukunden © dpa
Die Zahl klingt beeindruckend: Fast zehn Millionen Menschen haben im Mai das neue Deutschlandticket gekauft. Verkehrsminister Wissing, der den Ländern und Verkehrsbetrieben das erste bundesweit gültige Nahverkehrsticket aufgedrängt hat, spricht von einem „Riesenerfolg“. Bei Lichte betrachtet ist der neue Einheitstarif aber allenfalls ein Anfang – wenn nicht gar ein Flop.
Viele Nahverkehrsunternehmen haben ihren Abonnenten das Ticket frühzeitig angeboten. Insgesamt fünf Millionen von ihnen griffen nach dem Schnäppchen – und weniger nach der Option, mit Bus und Bahn quer durch die Republik zu fahren. Es sind Pendler und Nahverkehrsnutzer in den Metropolen, die profitieren.
Weitere 4,3 Millionen Menschen fuhren bislang mit Einzelfahrscheinen oder Monatskarten und haben für sich durchgerechnet, dass sie mit dem 49-Euro-Ticket günstiger fahren. Auch sie profitieren vom Rabatt.
Bleiben gerade einmal rund 700.000 Menschen, die die Nahverkehrsbranche nun als „Neukunden“ begrüßen kann. Der Branchenverband resümiert mit dem Hinweis, die zusätzliche Nachfrage habe „nicht zu Überlastungen“ geführt, völlig richtig: Der Erfolg ist eher mau.
Zum einen helfen die Einnahmen der rund 700.000 Neukunden nicht aus, um die Verluste auszugleichen, die mit der Rabattaktion entstehen. Bleibt der Trost, dass derzeit die drei Milliarden Euro ausreichen dürften, die Bund und Ländern den Verkehrsunternehmen zugesichert haben.
Zum anderen verbessert sich die Klimabilanz nicht wesentlich. Statt die erhofften drei Millionen Tonnen Kohlendioxid einzusparen, sind es derzeit nicht einmal eine Million im Jahr.
Bisher bleibt nur ein Erfolg: Der Einheitstarif hat die verschlafene und konservative Branche durchgerüttelt. Hipp ist Nahverkehr deswegen noch lange nicht.