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Steuerskandal
Cum-Ex-Prozess gegen Christian Olearius beginnt – Verdacht der besonders schweren Steuerhinterziehung

Lange war Olearius das Gesicht der Privatbank M.M. Warburg. Ab heute muss sich der Banker für die illegalen Geschäfte seines Hauses vor dem Landgericht Bonn verantworten.

18.09.2023| Update: 18.09.2023 - 14:40 Uhr | von René Bender, Sönke Iwersen und Volker Votsmeier

Christian Olearius (rechts) mit Anwalt Peter Gauweiler © dpa

Bonn Um Punkt zehn Uhr betritt Christian Olearius den Sitzungssaal S 0.11 im Landgericht Bonn. Umringt von gleich vier Verteidigern steht der wegen Steuerhinterziehung angeklagte Bankier vor der Anklagebank, stützt sich locker auf die Lehne des Stuhles, auf dem er wenige Minuten später Platz nehmen wird. Olearius, schneeweißes Haar, gekleidet in einen blauen Anzug mit weißem Hemd und blauer Krawatte, schaut mehrmals in Richtung der wartenden Journalisten, die Kameras klicken.

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Jahrzehntelang bestimmte er die Geschicke eines der traditionsreichsten deutschen Geldhäuser, der Hamburger Privatbank M.M. Warburg. Olearius war Vorstandsvorsitzender und später Aufsichtsratschef sowie gleichzeitig Gesellschafter. Nun ist er der Steuerhinterziehung mittels Cum-Ex-Geschäften angeklagt.

Der größte Saal des Landgerichts Bonn ist mit gut 100 Zuschauern fast voll besetzt. Das große Interesse der Öffentlichkeit am Prozess sei ein Gewinn, sagt die Vorsitzende Richterin Marion Slota-Haaf, doch während der Verhandlung sei die Rolle der Zuschauer eine schweigende.

Dann verliest Staatsanwältin Stephanie Kerkering den Anklagesatz. Olearius soll sich der besonders schweren Steuerhinterziehung in 14 Fällen schuldig gemacht haben. Cum-Ex nennt sich die Methode, die er dafür wählte. Der lateinische Begriff bezeichnet Akteinkreisgeschäfte mit (cum) und ohne (ex) Dividende, bei denen sich die Beteiligten eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer doppelt erstatten ließen.

Olearius bestreitet seine Schuld. Seine Anwälte wollen auf Freispruch plädieren. Der scheint fast unmöglich.

Den Gesamtschaden, den Olearius mit angerichtet haben soll, beziffern die Ankläger auf 444,2 Millionen Euro. Davon sollen 276 Millionen Euro Steuern tatsächlich hinterzogen worden sein. Bei den restlichen 168 Millionen Euro blieb es beim Versuch, da das Finanzamt die beantragten Erstattungen nicht mehr gewährte. Dieser Punkt gilt also als „versuchte Steuerhinterziehung“.

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Cum-Ex-Prozess gegen Christian Olearius startet

Die Ermittler geben sich überzeugt davon, dass Olearius „am Tatplan beteiligt“ gewesen sei. Mit den Mittätern sei er arbeitsteilig vorgegangen und die erstatteten Steuern seien untereinander aufgeteilt worden.

Steiler Aufstieg, jäher Absturz

Ein Großteil der Geschäfte, über die verhandelt wird, lief bei der Warburg Bank selbst. Sie trat in den Jahren 2007 bis 2011 als Leerverkäuferin im Markt auf, erwarb also Papiere, die dem Verkäufer noch gar nicht gehörten. Über diese Praxis wurde es möglich, dass das Finanzamt die Kapitalertragsteuer doppelt erstattete.

Die Tochter Warburg Invest entwickelte das Geschäft später weiter. 2009 und 2010 initiierte sie Fonds, mit denen vermögende Privatkunden an Cum-Ex partizipieren sollten. Darüber hinaus steckten Olearius und Max Warburg 2008 selbst fünf Millionen Euro über die Gesellschaft Vigor in einen Cum-Ex-Fonds namens Seriva.

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Kaum ein Banker in Deutschland ist je tiefer gefallen als Christian Olearius. Mehr als drei Jahrzehnte prägte der heute 81-Jährige die traditionsreiche Privatbank M.M. Warburg. Nachdem ihn 1986 Max Warburg in die Firma geholt hatte, wuchs das Geschäft beständig. Bis Mitte 2014 führte er die Bank als Sprecher der Gesellschafter, danach folgte der Wechsel an die Aufsichtsratsspitze.

Abwärts ging es ab dem 20. Januar 2016: An diesem Tag gab es eine Razzia in der Warburg-Zentrale in der Ferdinandstraße. Auch das Büro von Olearius wurde durchsucht, die Ermittler hegten bereits einen Anfangsverdacht gegen den Banker.

Das Hamburger Finanzamt für Großunternehmen erwog zu dieser Zeit, ob es von der Bank 47 Millionen Euro Steuern für das Jahr 2009 zurückfordern solle. Die Sache musste 2016 entschieden werden, denn es drohte eine Verjährung. Olearius setzte nun alle Hebel in Bewegung, um dies abzuwenden. Er traf mehrmals die SPD-Politiker Johannes Kahrs und Alfons Pawelczyk, damit sie für seine Bank lobbyierten. Beide sind heute mitbeschuldigt.

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Schließlich gelang es dem Warburg-Chef sogar, mit dem damaligen Ersten Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz, ins Gespräch zu kommen. Zweimal trafen sich die beiden persönlich, ein weiteres Gespräch fand telefonisch statt.

Der heutige Bundeskanzler konnte sich zunächst nicht an die Treffen erinnern, dann nicht an die Gespräche mit dem schon damals beschuldigten Olearius. Er sei sich aber sicher, nicht auf das Besteuerungsverfahren Einfluss genommen zu haben, gab er an. Fakt ist, dass das Finanzamt im November 2016 eine Kehrtwende vollzog und auf die Rückforderung in Höhe von 47 Millionen Euro verzichtete. Federführend war die Finanzbeamtin P. Sie schrieb an eine Kollegin kurz nach der Entscheidung, dass der „teuflische Plan“ aufgegangen sei.

„Wenn Olearius sagt, er sei unschuldig, weil er nichts von den Doppelerstattungen wusste, ist das schlicht unglaubwürdig“, sagt Fabio De Masi, Finanzexperte und ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Linken, der den Prozessauftakt gegen Olearius in Bonn verfolgt. „Die Finanzbeamtin hatte laut Tagebuch ausgerichtet, es könnte nur noch die Politik helfen. Erst dann bemühte er Herrn Scholz. Das zeigt doch: Er wusste, dass er auf legalem Weg nicht mehr weiterkommen würde, um den Einzug der Cum-Ex-Tatbeute zu verhindern.“

Scholz in der Bredouille

2017 stand erneut im Raum, dass M.M. Warburg Geld zurückzahlen müsse. Diesmal ging es um 43 Millionen Euro, ein erneutes Treffen mit Scholz ist dokumentiert. Diesmal intervenierte aber das Bundesfinanzministerium: Berlin wies das Finanzamt an, das Geld einzutreiben. In der Anklageschrift taucht der Name des heutigen Kanzlers 27-mal auf.

Für Olearius selbst spitzte sich die Situation in den folgenden Monaten weiter zu. Im März 2018 kamen die Kölner Ermittler zu einer zweiten Razzia nach Hamburg. Auch die Aufsichtsbehörde Bafin machte Druck. Schließlich musste Olearius Ende 2019 sein Amt als Aufsichtsratschef der Bank abgeben.

Am 1. Juni 2021 verurteilte das Landgericht Bonn Christian S. zu fünfeinhalb Jahren Haft. Er war lange Generalbevollmächtigter der M.M. Warburg, galt als rechte Hand von Olearius. Die Vorwürfe gegen ihn deckten sich weitgehend mit denen gegen Olearius. Das Urteil ist bereits rechtskräftig, S. hat seine Haftstrafe angetreten.

Verurteilt wurde auch ein ehemaliger Geschäftsführer von Warburg Invest, er musste für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Noch heftiger traf es Steueranwalt Hanno Berger, der sich einige Male mit Olearius traf und die Bank zu den Cum-Ex-Geschäften beriet. Berger wurde in Bonn und Wiesbaden zu jeweils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Revisionen laufen.

Die Vorzeichen stehen also schlecht für Olearius. Beeindrucken lässt er sich nur bedingt. Während die Anklage verlesen wird, schüttelt der Bankier ab und an leicht den Kopf, pustet die Wangen auf und flüstert in Richtung einer seiner Verteidiger. Als die Staatsanwältin verliest, dass Olearius einst versucht haben soll, durch politischen Druck auf Entscheidungsträger zu „verhindern, dass die erschlichenen Gelder“ von Warburg behalten werden konnten, sieht es so aus, also ob Olearius leise vor sich hin schimpft, er blickt in Richtung seiner Verteidiger.

Seit fast drei Jahren hat er den Münchener Anwalt Peter Gauweiler an seiner Seite. Dessen Ruf ist legendär, seit er für die Kirch-Erben fast eine Milliarde Euro Schadenersatz von der Deutschen Bank erstritt. Neben Gauweiler hat Olearius drei weitere hochkarätige Anwälte verpflichtet: Klaus Landry, den er seit drei Jahrzehnten kennt, Rudolf Hübner von der US-Kanzlei Quinn Emanuel und Strafrechtsprofessor Bernd Schünemann.

Am Nachmittag kündigt Hauptverteidiger Gauweiler an, dass Olearius im Verfahren zu den Vorwürfen Stellung beziehen wolle. Zunächst aber werde jeder der vier Anwälte ein sogenanntes Eröffnungsstatement abgeben. Der kommende Verhandlungstag werde dafür aller Voraussicht nach nicht ganz ausreichen, wahrscheinlich benötige man auch am übernächsten Termin in der kommende Woche noch ein wenig Zeit.

Doch vorher wollen sich die Anwälte noch einen Eindruck von einer Asservatenliste machen. Sie hätten sie erst am vergangenen Freitag vom Gericht bekommen – mehr als ein Jahr, nachdem die Anklage erhoben wurde, wie Gauweiler bemerkt. Auf zehn eng bedruckten Seiten seien unzählige Asservate aufgeführt. Der Anwalt schlägt vor, am Dienstag zum Landeskriminalamt nach Düsseldorf zu fahren, um Einsicht zu nehmen, was es denn mit diesen Asservaten genau auf sich habe.
Am Mittwoch geht es dann vor dem Landgericht Bonn weiter. Der Prozess gegen Olearius ist zunächst auf 28 Verhandlungstage angesetzt, bis in den März 2024 hinein sind Termine geplant.

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