Rezension Der Mythos der Gen Z: Was die „Jahrtausendkinder“ ausmacht
Genialer Nachwuchs oder illoyale Jobhopper? Ein Autorenteam beschreibt, wie die 12- bis 27-Jährigen als Arbeitnehmer und Zielgruppe zu nehmen sind.
06.08.2022 | von Tanja Kewes
Junge Menschen © action press
Düsseldorf Sie sind mit Barack Obama als US-Präsident und Angela Merkel als Bundeskanzlerin aufgewachsen, wurden mit Teeniestars wie Justin Bieber oder Miley Cyrus groß. Sie mussten weder dienen noch verweigern, und sie flogen mit Billigfliegern um die Welt. Vor allem aber gehen sie nicht online, sie leben online. Das Internet ist für sie von klein auf Alltäglichkeit.
Die Welt der in den Jahren 1995 bis 2010 Geborenen, der sogenannten Jahrtausendkinder, war bis zur Coronapandemie und zum Ukrainekrieg – jedenfalls in Deutschland – eine sehr heile und durchaus wohlhabende. Die Generation Z ist von daher eine sehr gut ausgebildete und auch eine sehr selbstbewusste, die genau weiß und auch artikuliert, was sie vom (Arbeits-)Leben will und was nicht.
Nun drängt sie auf den Arbeitsmarkt – und zwar mit enormer Marktmacht. Aufgrund ihrer guten Ausbildung, ihrer digitalen Expertise, aufgrund des demografischen Wandels und des sich zuspitzenden Fach- und Führungskräftemangels in der deutschen Wirtschaft suchen die Jahrtausendkinder sich ihre Arbeitgeber aus, nicht umgekehrt.
Für die einen Entscheidungsträger sind sie deshalb geniale Hoffnungsträger, für die anderen allzu anspruchsvolle Jungspunde. Fakt ist: Die derzeit 12- bis 27-Jährigen sind die Generation Zukunft, und sie sind nicht wenige. In Deutschland zählen mehr als elf Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zur „Gen Z“, in Österreich und der Schweiz sind es jeweils fast 1,4 Millionen.
Doch was zeichnet diese Generation wirklich aus? Und wie lässt sich ihr Potenzial ökonomisch am besten nutzen? Antworten auf diese Fragen will ein neues Buch geben, das Hauke Schwiezer, der im eigentlichen Beruf seit einigen Jahren die Bildungsplattform Startup-Teens leitet, initiiert hat. Eine Handreichung wie diese habe bisher auf dem Buchmarkt gefehlt, erklärt Schwiezer selbst.
Und in der Tat: Seitdem sich der inzwischen verstorbene Bildungsexperte Christian Scholz vor acht Jahren in seinem Buch „Die Generation Z – Wie sie tickt“ grundlegend mit den Jahrtausendkindern auseinandersetzte, dominiert Betroffenheitsprosa den Markt, die bisweilen zwar tiefgründig, aber doch meist nur exemplarisch daherkommt. So schreibt etwa Valeria Vapaux in ihrem Ende 2021 erschienenen Buch „Generation Z“: „Wir sind orientierungslos, einsam und überfordert. Aber wir sind auch frei und selbstbewusst, und wir haben alle Möglichkeiten.“
„Weder verteufeln noch glorifizieren“
Das aus 28 Autorenbeiträgen bestehende Buch „Gen Z für Entscheider:innen“ will nun persönliche Erfahrungen und Erkenntnisse ebenso schildern wie konkrete Handlungsempfehlungen für Unternehmen geben, die die „Gen Z“ gewinnbringend einsetzen wollen. Und es will aufzeigen, wie die Zusammenarbeit mit dieser anspruchsvollen Altersgruppe funktionieren kann. Die Generation Z werde dabei „weder glorifiziert noch verteufelt“, sagt Mitherausgeber Schwiezer.
Die Microsoft-Managerin Annahita Esmailzadeh ergänzt stellvertretend für die anderen Herausgeber und Autoren im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Es ist mir ein persönliches Anliegen, das Verständnis für die nächste junge Generation mit zu schaffen.“ Denn die Generation Z kenne ihren Marktwert und fordere diesen auch selbstbewusst ein. Das könne für ältere und etablierte Entscheidungsträger bisweilen befremdlich wirken, sei aber nun einmal so. Schließlich sei aus einem Arbeitgeber- ein Arbeitnehmermarkt geworden.
Neben Schwiezer und Esmailzadeh zählen zu den Herausgebern: die Gründer und Geschäftsführer der Agentur Zeam, Yaël Meier und Jo Dietrich, die Professorin für Female Entrepreneurship an der Universität Oldenburg, Stephanie Birkner, sowie der Gründer der Beratungsplattform Krisenchat, Julius de Gruyter. Gemeinsam mit den 22 weiteren Autoren wollen sie in ihrem Buch beschreiben, „was es braucht, damit für und mit der Gen Z die Geschäftswelt der Gegenwart und Zukunft gestaltet werden kann.“
Die Beiträge sind dabei aus der eigenen Praxiserfahrung heraus geschrieben. So schildert Daniel Grieder, Vorstandschef des Modekonzerns Hugo Boss, wie und warum er derzeit versucht, seine Marke mit Stars der „Gen Z“ in den sozialen Netzwerken neu zu positionieren, und in diese Marketingkampagne im ersten Quartal 2022 gut zehn Prozent des Unternehmensumsatzes investierte: „In einer sich ständig verändernden, digitaleren Welt müssen sich Marken immer wieder neu erfinden, um für ihre Kund:innen – insbesondere jüngere Generationen – relevant zu bleiben.“
Und Laura Bornmann, Leiterin der Personalentwicklung beim Einzelhändler Rewe, klärt unter dem Titel „Von der Kür zur Pflicht“ darüber auf, „warum heute jedes Topmanagement die Gen Z verstehen“ müsse. Sie berichtet aus ihrem Alltag, wie die Generation Z Arbeit grundlegend neu definiert („Arbeit darf sich nicht wie Arbeit anfühlen“, „Karriere trotz Teilzeit“) und wie irritierend das bisweilen auf in anderen Zeiten sozialisierte Entscheidungsträger wirken kann.
Die Autoren der im Buch versammelten Beiträge sind divers. Über die Hälfte sind Frauen, die Altersspanne reicht von 15 bis 78 Jahren, und ein Großteil hat einen Migrationshintergrund. Neben Topmanagern wie Daniel Grieder von Hugo Boss, Katherina Reiche von Westenergie oder Daniel Krauss von Flixbus kommt dabei auch die Generation Z selbst zu Wort – und unternimmt den Versuch, sich selbst zu charakterisieren.
So schreibt der 15-jährige Richard Schäli, der mit sieben Jahren seine erste Aktie kaufte und inzwischen Vermögensberater ist: „Für mich persönlich war es immer klar, dass ich meine eigenen Ideen verfolgen wollte.“ Der Grund dafür liege „in den unbeschwerten Verhältnissen, in denen ich und die gesamte (westliche) Generation Z aufwachsen durfte“.
Das wiederum habe zu dem Wunsch nach Herausforderungen geführt. Und zu dem Anspruch, beweisen zu wollen: Auch aus einer wohlsituierten Situation heraus lässt sich etwas erreichen, das die Welt voranbringt. „Meine Generation fürchtet das Immergleiche und Repetitive im Alltag“, schreibt Schäli weiter. Wenn es an Sinnhaftigkeit fehle, nähmen die Produktivität und die Begeisterung für die Arbeit bei Vertretern der „Gen Z“ daher rasant ab.
„Jedes Unternehmen braucht jemanden aus der Generation Z im Vorstand“
Einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt der Unternehmer der Generation Z liefert auch Julius de Gruyter. Der 22-Jährige ist Mitgründer der Anti-Mobbing-App Exclamo sowie der psychosozialen Beratungsplattform Krisenchat. „Wenn ich nur eine Eigenschaft nennen dürfte, mit der ich die Gen Z beschreiben soll, dann wäre es ihr aktivistischer Charakter, ihre Art und Weise, einfach anzufangen“, schreibt er. Was seine Generation auszeichne, sei, dass sie Dinge anpacke, während „andere ihre Probleme links liegen lassen“. Und aufgrund ihrer digitalen Expertise habe sie dazu auch die notwendigen Fähigkeiten.
Die Beiträge sollen Entscheidungsträger in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft darin bestärken, der Generation Z offen und konstruktiv zu begegnen – und zwar nicht aus Altruismus, sondern aus Nutzenkalkül. So empfiehlt Hauke Schwiezer: „Jedes Unternehmen braucht jemanden aus der Generation Z im Vorstand.“ Das sei keine Provokation, sondern seine feste Überzeugung. Denn: „Die Generation Z sieht aufgrund ihrer sehr guten Ausbildung und ihren digitalen Fähigkeiten Märkte, Produkte und Dienstleistungen, bevor sie der Rest sieht.“
Das Buch, das sich in die vier Abschnitte Recruiting, Führung, Marketing sowie Entre-/Intrapreneurship gliedert, ist ein kurzweiliger wie tiefgründiger Einblick in die Gedanken- und Erfahrungswelt der Autoren. Und es endet mit konkreten Handlungsempfehlungen. Denn: „Es ist höchste Zeit für Veränderung“, wie es darin heißt. Die Gen Z werde schon sehr bald die dominierende Arbeits- und Kaufkraft sein. Wenn Unternehmen dann nicht ins Bild dieser Generation passten, seien sie sehr schnell weg vom Markt.
Dem Inhalt des Buchs folgt die Optik. Die Autoren werden von ihren persönlichen Avataren verkörpert – eine Erscheinung, die nach Ansicht der Herausgeber in Zukunft alltäglich sein wird: „Mit dem Aufkommen des Metaverse – einer virtuellen Welt, in der die Menschen direkt miteinander kommunizieren und interagieren können – werden Menschen nicht nur eine, sondern mehrere Identitäten haben. Wie sie die Gen Z heute schon zu haben scheint, wie die Widersprüchlichkeit bei ihren Haltungen und Erwartungen zeigt.“
Insgesamt macht das Buch, das am 17. August erscheint, neugierig auf die sogenannte Generation Zukunft. Und es bleibt sich und seinem Anspruch auch in seiner Vermarktung treu: Die Einnahmen aus den Buchverkäufen sollen zu 100 Prozent der von Mitherausgeber Hauke Schwiezer begründeten Non-Profit-Organisation Startup Teens zugutekommen. Deren Anspruch ist es, Schülern und Schülerinnen unternehmerisches Denken und Handeln zu vermitteln. All das – wie sollte es in der Generation Z auch anders sein – natürlich mittels der Wege des Internets.