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Effiziente Ernährung
Brainfood gegen das Monster in uns: Was das Gehirn wirklich braucht

Forscher in aller Welt zeigen gerade, dass Leistungsfähigkeit direkt verknüpft ist mit gesunder Ernährung – natürlich auch im Beruf.

14.12.2019 | von Andrea S. Klahre

Faktor Lebensmittel

Hamburg „Willst Du erkennen, lerne zu handeln“, lautet ein Bonmot des Physikers Heinz von Foerster. Es lässt sich spontan ergänzen: … und gesund zu essen. Denn viele Forschungsarbeiten bestätigen derzeit, dass die Ernährung direkt die Leistungsfähigkeit
des Gehirns, unsere seelische Verfassung und mentale Gesundheit beeinflusst.

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Das Gehirn isst mit, immer. Es verbraucht mehr als 20 Prozent des täglichen Energiebedarfs. Wird es gleichmäßig gut gefüttert, kann es tagsüber auf vollen Touren laufen und nachts regenerieren. Erkenntnisse dazu liefert neuerdings eine junge
Wissenschaft, die über die gesamte Lebensspanne für die Gehirngesundheit untersucht, was wir so zu uns nehmen.

Der Name: Nutritional Cognitive Neuroscience. Das Lieblingsthema: Neuro Nutrion oder Brainfood – jene ballaststoff-, obst- und gemüsereiche Ernährung, die unerlässlich ist fürs optimale Funktionieren der grauen Zellen. Also für spürbar bessere Hirnleistung und Laune, Konzentration und Kreativität, geringeres Stresserleben und tieferen Schlaf. Ja, und offenbar auch für mehr Zufriedenheit mit sich und dem Leben.

Rund 50 Nährstoffe brauchen Kopf und Körper dafür – und ganz allgemein zum Gesundbleiben, Lieben und Lernen, Arbeiten und Mitarbeiter führen. Was, wenn das System Mensch die dauerhaft nicht bekommt? Wird es krank – umso mehr bei einem
Lebensstil mit wenig tiefenentspannenden Ruhephasen und noch weniger Bewegung.

Könnte die regelmäßige Portion Nüsse, Fisch, Beeren, Hafer, Kohl und Co. die Welt sogar zu einem friedlicheren Ort machen? Dr. Ap Zaalberg vom Forschungsinstitut des niederländischen Justizministeriums bemerkt jedenfalls in der TV-Dokumentation „Unser Hirn ist, was es isst“: „Mit industriell produzierten und stark verarbeiteten Sachen, die keinerlei Nährstoffe mehr haben, füttern wir das Monster in uns.“

Frischer Lachs

In seinen Untersuchungen mit Gefängnisinsassen, aber auch in australischen Studien mit Kindern und Erwachsenen, wird immer offensichtlicher: Zu einseitig, zu viel, zu fett, zu salzig – und immer zu süß – kommt nicht länger nur einem Anschlag auf Leib und Leben gleich, sondern auch auf das Gehirn.

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Junkfood gilt als einer der Schlüssel für emotionale Störungen: für Impulsivität, Aggression, Gewalttätigkeit. Andere Arbeiten finden ein Risiko für Depressionen und Ängstlichkeit. Vor allem ungünstige Fette und Zucker stehen im Verdacht, das
Zusammenspiel der Nervenzellen und so die Aktivitäten verschiedener Hirnareale zu stören, die für das Lernen, die Erinnerung und räumliche Orientierung zuständig sind.

„Als fester Bestandteil des Alltags kann Essen viele verschiedene biochemische Vorgänge anstoßen und sogar unser Handeln und Denken beeinflussen“, sagt die Psychologin und Hirnforscherin Prof. Soyoung Q Park, die am Deutschen Institut für
Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) und an der Charité die Abteilung Neurowissenschaft der Entscheidung leitet.

Allein durch die Wahl eines Lebensmittels und den Verzehr zu einer bestimmten Zeit lässt sich einiges steuern. Zum Beispiel das morgendliche Müsli – selbstgemacht aus Getreideflocken, frischem Obst, Nüssen, Biomilch oder -joghurt: Eine bessere Basis gibt´s wohl kaum, um jeden Tag aufs Neue den lauernden Säbelzahntiger zu besiegen. Es füllt leere Energiespeicher viele Stunden, sättigt lange, schützt vor Heißhungerattacken.

Und unterstützt nicht zuletzt die Darmgesundheit. Denn an allem ist der Darm beteiligt, das VIP-Organ der Jetztzeit. Die Bakterien der Darmflora vermitteln zwischen Nahrung und Neuronen; sie kommunizieren mit ihnen über wichtige Teile des Nervensystems und steuern, wie wir uns fühlen: fröhlich oder jämmerlich, optimistisch oder verzagt. Oder eben auf Krawall gebürstet.

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Steuerung der Hirnchemie

Wie genau sie das tun, ist noch Hypothese. Doch klar scheint inzwischen zu sein, dass die Meldung „Zu viel schlechtes Fett und Zucker unterwegs!“ früher oder später über das Immunsystem im ganzen Körper Entzündungen auslöst, auch im Gehirn. Die eigentlich undurchlässige Blut-Hirn-Schranke wird überwunden. Am National Cancer Institut in Bethesda/Maryland geht man davon aus, dass mindestens jede fünfte Krebsdiagnose durch schwelende Entzündungen angeschubst wird.

Wer kann das ernsthaft wollen? Eben. Deshalb setzt sich eine Idee immer mehr durch: Mit Pflanzenstoffen, „guten“ Fetten und all den anderen Schätzen aus hochwertigem Essen die Hirnchemie steuern, um positiv auf Befinden und Verhalten zu wirken.

Wie die Zusammenhänge sind und wie die richtigen Lebensmittel nicht nur präventiv funktionieren, sondern Licht in den Tunnel auch bei Dauerstress bringen: Forscher folgen allen Fährten, vor allem denen der mediterranen Küche. Selbst wenn die in
traditioneller Form kaum noch anzutreffen ist, da die Qualität sich verändert hat und auch im Süden Europas längst Fastfood konsumiert wird, so bleibt sie ein Synonym für die Bandbreite an frischer, pflanzlicher, gering verarbeiteter Nahrung.

Alle Studien zeigen: Die Kombination von Gemüse, Fisch, Geflügel, Getreide, Nüssen, Käse, Früchten und Olivenöl – bei uns ist auch Rapsöl angesagt – führt zu einer bunten Vielfalt an Darmbakterien und soll die kleinen grauen Zellen richtig fit machen. Der Zeitgeist nennt das Plant Based Food. Und meint damit eine meist vegetarische Kost, bei der man sich gelegentlich biologisch produziertes Fleisch auf den Teller legt.

Unser Überblick über die wichtigsten Elemente eines idealen Hirnfutters entspricht letztlich einem idealen Healthfood, klar. Dafür ist nicht nur der private Lebensraum das perfekte Setting. Längst sind auch Schulen, Unternehmen, Tagungshotels im Fokus.
Dort lassen sich die Bildungshungrigen, etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung und schließlich Manager erreichen: alle, die sich sowieso schon für Brainfood interessieren und jene, die wenig drüber nachdenken.

Das ideale Hirnfutter

Omega-3-Fettsäuren

Bekannt sind sie für ihren Einfluss auf Herz und Gefäße. Noch nicht wirklich herumgesprochen hat sich, dass sie auch für die Entwicklung, Struktur und Funktion des Gehirns (und der Augen) und für die Intelligenz fundamental sind. Niedrige Werte finden sich u. a. bei Depression und AD(H)S. Da der Körper O3FS nicht selbst herstellen kann, unterstützen wir ihn am besten. Je mehr, je besser.

Top 10: Algen, Lein-, Chia-, Walnussöl, Leinsamen, Walnüsse, Fettfische wie Lachs, Makrele, Sardelle, Sardine.

Komplexe Kohlenhydrate

Mit Kohlenhydraten wird in aller Regel Industriezucker und „leere Kalorien“ in Weißbrot oder Gebäck assoziiert. Doch es gibt noch die komplexen Kohlenhydrate, sie zählen zu den wichtigsten Energielieferanten des Gehirns. Davon hat es lange was, wir können zum Beispiel mehrere Stunden fokussiert an etwas arbeiten. In der deutschen Ernährungswissenschaft wurde die Mittelmeerkost auch deshalb um Vollwertigkeit erweitert. KK liefern gleichzeitig Mineral-, Ballaststoffe und Vitamine, die wiederum dafür sorgen, dass die Hirnzellen schnell und präzise Informationen austauschen.

Top 10: Vollkornbrot, Naturreis, Quinoa, Polenta, Bohnen, Haferflocken, Zuckerschoten, Kichererbsen, (Süß-)Kartoffeln, Bananen.

Proteine

Ohne Proteine, also Eiweiße, ist alles nichts. Deren Bausteine, die Aminosäuren, wirken im Gehirn als Vorläufer von Botenstoffen wie Dopamin oder Serotonin – bestens bekannt als Glückshormone. Als Botenstoffe selbst werden sie gebraucht für die Kommunikation zwischen den Hirnarealen.

Etwa wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, erholsam zu schlafen, zu fühlen, gegen Stress und Kälte anzukämpfen. Einige Aminosäuren müssen mit der Nahrung aufgenommen werden, sinnvoll ist ein Mix aus pflanzlichen und tierischen Quellen.

Top 10: Alle diese sogenannten essentiellen Aminosäuren sind im Hühnerei enthalten. Andere Eiweißquellen sind Vollmilch und Milchprodukte, Sojaprodukte, Kürbiskerne, Lupinen, Pasta, Linsen, mageres Fleisch und Süßwasserfische aus nachhaltiger Fischerei mit akzeptablen Tötungsmethoden.

Sekundäre Pflanzenstoffe

SPS kommen in allen Pflanzen in nur geringen Mengen, aber gigantischer Vielfalt vor. Der Versuch, sie in einer Zahl zu erfassen, ist schwierig, man geht von mindestens 80.000 aus, die unter anderem für den Geschmack, den Duft und die Farbe von Obst und Gemüse verantwortlich sind. Mit der Produktion von SPS sichern Pflanzen ihr eigenes Überleben. Im übertragenen Sinne werden sie als unentbehrlich für den Menschen eingestuft. Viele SPS jagen freie Radikale und schützen so die DNA vor Erbgutschäden. Und tiefer liegende Gewebeschichten setzen sozusagen keinen Rost an. Dies heißt fürs Hirn: Besonders eine Gruppe, die Polyphenole, erhält die Lern- und Gedächtnisfähigkeit. Von Bedeutung sind diese vier: die Ferula-, Kaffee-, Ellagsäure und Resveratrol.

Top 10: Ferula- und Kaffeesäure stecken in Grün-, Weißkohl, Paprika; Ellagsäure in allen Beeren, Walnüssen, im Granatapfel; Resveratrol vor allem in roten Trauben, Himbeeren, Pflaumen, Erdnüssen.

Sauerstoff

Ein fitter und schneller Geist, aufmerksam, wach und witzig: Das klappt mit Flüssigkeit. Viel trinken versorgt den Kopf mit Sauerstoff und durchblutet anständig. Nein, Alkohol ist nicht gemeint. Ansonsten sind die Empfehlungen naturgemäß immer die gleichen: jeden Tag rund zwei Liter zuckerfrei und kalorienarm. Frisch gepresste Frucht- und Gemüsesäfte sowie Smoothies sind super Zwischenmahlzeiten.

Top 5: Stilles Wasser, gegebenenfalls angereichert z. B. mit frischem Ingwer, selbst gemixte Saftschorlen im Verhältnis 1:3 Saft/Wasser, Tees in Bioqualität (Stichwort: Pestizide), fettarme Brühen. Beim Kaffee entsprechen zwei bis drei Tassen bis zu 300 Milligramm Koffein, das regt die Nervenzellen ausreichend an.

Das gewisse Etwas

Mediterran-vollwertig heißt nicht zuletzt: Wer sich angewöhnt, auf dem Wochenmarkt, im Hofladen und beim Bauern seines Vertrauens einzukaufen, kann die Nutri Scores dieser Welt komplett ignorieren. Denn charakteristisch für „echte“ Lebensmittel sind geringe Mengen an Zucker, Salz, versteckten (Palm-)Fetten. Und: keine meterlangen Listen an synthetischen Zusätzen, nirgends. Kennen Sie die Faustregel „Finger weg von Zubereitungen mit mehr als fünf Zutaten“? Alles darüber soll dem Leben – dem guten zumal – nicht unbedingt zuträglich sein. Jedenfalls nicht im Sinne eines anderen Gedankens, dem des Journalisten und Autors Gero von Randow: „Ein Liebhaber guten Essens investiert nicht in Qualität, sondern in
sich.“ Passt irgendwie zum Start in ein neues Jahrzehnt.

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